Irak:"Wir vermissen sie und wollen sie zurückhaben"

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Die Doktorandin Elizabeth Tsurkov 2017 in Istanbul. (Foto: Ahmad Mohamad/AFP)

Vor mehreren Monaten wurde die israelisch-russische Doktorandin Elizabeth Tsurkov im Irak entführt. Nun ging die israelische Regierung mit dem Fall an die Öffentlichkeit. Was bisher bekannt ist.

Von Sina-Maria Schweikle

"Wir wissen, dass sie am Leben ist", sagt Emma Tsurkov im israelischen Fernsehen. Doch wo ihre Schwester Elizabeth festgehalten wird und unter welchen Bedingungen, das sei unklar. "Sie ist am Leben und das bedeutet uns alles."

Seit mehreren Monaten wurde sie vermisst, doch die Nachricht ist erst in dieser Woche an die Öffentlichkeit gedrungen: Elizabeth Tsurkov, eine israelisch-russische Doktorandin, wurde Ende März im Irak entführt. Sie sei, so hieß es am Mittwoch seitens der israelischen Regierung, mit ihrem russischen Pass und auf eigene Initiative in den Irak gereist. Dort wollte sie als Doktorandin der amerikanischen Princeton University an ihrer Promotion arbeiten. Nach der Durchführung von Interviews soll die 36-jährige Wissenschaftlerin im Bagdader Stadtteil Karrada entführt worden sein.

Verantwortlich macht die israelische Regierung die schiitische Miliz Kataeb Hisbollah. Sie ist eine mächtige Fraktion der irakischen Hasched al-Schaabi, ein vom Iran geförderter und regierungsnaher paramilitärische Verband, der in den letzten Jahren in die irakischen Sicherheitskräfte integriert wurde. Doch die pro-iranische Gruppe weist die Anschuldigen zurück.

Antisemitismus ist im Irak weit verbreitet

"Normalerweise hat sie immer sehr schnell auf die Bilder ihres Neffen reagiert", sagt Emma Tsurkov in einem israelischen Fernsehinterview über ihre Schwester. Doch als die Reaktion am Handy auf sich warten ließ, sei ihr bewusst geworden, dass etwas nicht stimmt. Dies sei der Moment gewesen, in dem sie sich an die israelischen Behörden gewandt hatte.

Dass eine Reise in den Irak als israelische Staatsbürgerin gefährlich ist, dürfte Elizabeth Tsurkov durchaus bewusst gewesen sein. Antisemitismus ist im Irak weit verbreitet. Es gibt nur noch sehr wenige Juden, die dort leben. Die meisten haben den Irak nach der Gründung des Staates Israels verlassen. In einer Zeit, in der mehrere arabische Länder formelle Beziehungen zu Israel aufgenommen haben, wurde vergangenes Jahr im Irak ein "Anti-Israel-Normalisierungsgesetz" beschlossen. Es untersagt den Menschen jegliche Verbindung zu Israel und dessen Staatsbürgern. Demnach könnte sogar nur ein Austausch an Nachrichten mit israelischen Freunden oder Verwandten mit einer lebenslangen Haft oder gar mit der Todesstrafe enden.

Das Gesetz mit dem Namen "Kriminalisierung der Normalisierung und Herstellung von Beziehungen mit der zionistischen Entität" gilt nicht allein für Iraker im In- und Ausland. Auch ausländische Institutionen, Firmen und Privatpersonen, die im Irak tätig sind, könnten für jeglichen Kontakt zu Israelis bestraft werden. Vorgeschlagen wurde das Gesetz von dem einflussreichen schiitischen Geistlichen Muktada al-Sadr. Es ist mit einer breiten Mehrheit angenommen worden.

Dass Menschen im Irak entführt werden, ist keine Seltenheit

Zwar gibt es im Irak Menschen, die sich für ein normales Verhältnis zu Israel aussprechen, doch auch sie müssen sich vor möglichen Konsequenzen fürchten: Vor zwei Jahren haben mehrere hundert Menschen aus dem Irak bei einer Konferenz in Erbil eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel gefordert. Es folgten Haftbefehlen und Morddrohungen gegen einige der Teilnehmer.

Dass eine israelische Staatsbürgerin in den Irak reist, um dort zu forschen, dürfte für viele ein wagemutiges Unterfangen sein. Doch Elizabeth Tsurkov wollte sich ein Bild von der Realität vor Ort, direkt von den Menschen dort machen. "Sie war davon überzeugt, dass dies keine Forschung ist, die man aus der Ferne betreiben kann", sagt ihre Schwester.

Dass Menschen im Irak entführt werden ist keine Seltenheit. Es ist ein trauriger Trend, der sich seit den Protesten im Jahr 2019 und den darauffolgenden Wahlen immer weiter verschärft und zu einer Atmosphäre der Angst und Unsicherheit im Land geführt hat. Anfang des Jahres wurde der irakische Umweltschützer Jassim al-Asadi gefangengenommen und nach zwei Wochen wieder freigelassen. Doch dass Ausländer entführt werden ist nicht die Regel. Eigentlich sei der Irak ein Land, in dem es grundsätzlich, zumindest von Behördenseiten, viele Freiheiten für Forschende gebe, so ein Experte im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung - doch oft unterstelle man den Wissenschaftlern dann auch Spionage.

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Nun möchte die irakische Regierung eine offizielle Untersuchung im Fall Tsurkov durchführen. "Angesichts des Umfangs und der Komplexität des Falles wird es keine offizielle Erklärung zu dieser Angelegenheit geben, bis die irakische Regierung ihre offizielle Untersuchung abgeschlossen hat und zu Schlussfolgerungen gelangt ist", wird Regierungssprecher Bassem al-Awadi in israelischen Medien zitiert. Danach würde es Erklärungen oder Ankündigungen zu offiziellen Positionen geben, sagte er dem Sender Al-Ahd, der der Hasched al-Schaabi nahesteht.

Emma Tsurkov hofft darauf, dass die israelische, russische und amerikanische Regierung zusammenarbeiten, damit ihre Schwester bald wieder zurück bei ihrer Familie ist. "Wir vermissen sie und wollen sie zurückhaben."

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