Israels Medien überboten sich am Mittwoch mit Eil-Meldungen, dabei ist die Geschichte bekannt: Kampfjets der Luftwaffe hatten in der Nacht zum 6. September 2007 in Syrien ein würfelförmiges Gebäude am Euphrat nahe der Stadt Deir al-Sour bombardiert. Syrische Staatsmedien meldeten in dürren Sätzen den Angriff. Bald tauchten Satellitenbilder auf, die einen Verdacht nährten. Im April 2008 unterrichteten die US-Geheimdienste den Kongress und dann auch ausgewählte Journalisten, bei dem Kasten habe es sich um einen in Bau befindlichen Atomreaktor gehandelt, errichtet mit Hilfe aus Nordkorea.
Allerdings hat Israels Armee, die über die leaks in Amerika nicht glücklich war, nun nach mehr als zehn Jahren selber das Schweigen gebrochen. Sie bekennt sich nicht nur zu dem Angriff, sie feiert ihn. Dutzende als hoch geheim eingestufte Dokumente, Fotos und eigens produzierte Interviews hat die Militärzensur nun freigegeben. Selbst die Frau eines der beteiligten Piloten erfuhr erst am Mittwoch davon.
Was den Wirbel in Israel und darüber hinaus verursacht, ist die Botschaft, die sich an die Veröffentlichung knüpft: Verteidigungsminister Avigdor Lieberman warnte, niemand solle Israels Streitkräfte unterschätzen. Und Premier Benjamin Netanjahu sagte, "die israelische Regierung, die Armee und der Mossad haben Syrien davon abgehalten, nukleare Kapazitäten zu entwickeln. Israels Politik bleibt konstant: zu verhindern, dass unsere Gegner nukleare Waffen bekommen". Jüngst hatte die Luftwaffe erstmals seit mehr als 30 Jahren den Abschuss eines Kampfjets hinnehmen müssen - ausgerechnet durch Syriens Luftabwehr. Generalstabschef Gadi Eizenkot sagte, Israel werde "nicht die Entstehung von Fähigkeiten zulassen", die seine Existenz bedrohten. "Das war 2007 unsere Botschaft, das bleibt unsere Botschaft, und das wird in naher und ferner Zukunft weiter unsere Botschaft sein." Und Geheimdienstminister Israel Katz stellte klar, was ohnehin offenkundig war: "Damals Syrien, heute Iran."
Israel fürchtet, dass sich die Revolutionsgarden in Syrien und Libanon festsetzen. Am 10. Februar hatte die Armee eine in Syrien gestartete iranische Drohne abgefangen. Daraufhin flog die Luftwaffe Vergeltungsangriffe auf iranische Ziele in Syrien, in deren Zuge die israelische F-16 von einer syrischen Rakete getroffen wurde und auf israelischem Gebiet abstürzte.
Iran baut nach Ansicht westlicher Geheimdienste Stützpunkte in Syrien und Fertigungsanlagen für präzise Raketen mit Reichweiten von mehr als 70 Kilometern. Sie könnten Ziele tief in Israel treffen, insbesondere wenn die Revolutionsgarden auf dem Golan bis auf wenige Kilometer an die Grenze heranrücken. Israel hat in den vergangenen beiden Jahren Dutzende Angriffe auf Konvois und Einrichtungen in Syrien geflogen, um zu verhindern, dass Lieferungen aus Iran die Hisbollah erreichen, sich das militärische Kräfteverhältnis zu seinen Ungunsten verschiebt.
Der Mossad fand im Hotel auf dem Laptop eines Funktionärs Bilder des Atommeilers
Zugleich sieht sich Israel weiter durch das iranische Atomprogramm bedroht. Premier Benjamin Netanjahu ist ein ausgesprochener Gegner des 2015 in Wien zwischen Iran sowie den fünf UN-Vetomächten und Deutschland geschlossenen Nuklearabkommens, das US-Präsident Donald Trump aufzukündigen droht. Spätestens im Mai wird er darüber entscheiden. Allerdings gibt es im israelischen Militär und in den Geheimdiensten auch mahnende Stimmen, die zugestehen, dass das Abkommen Israels Sicherheit verbessert hat und eine Kündigung zu einer raschen Eskalation führen könnte. In Europa warnen Diplomaten, genau das sei das Ziel der zunehmend einflussreichen Hardliner in Washington, mit denen sich Trump umgibt.
Allerdings ist fraglich, ob der bislang als Operation Obstgarten bekannte Angriff auf den Reaktor al-Kibar als Blaupause für einen Militärschlag gegen die iranischen Atomanlagen taugt. Gerade einmal acht israelische Kampfjets der Typen F-15 und F-16 drangen damals in den Luftraum des Nachbarlandes ein und kehrten unbehelligt wieder nach Israel zurück. In Iran müsste ein Dutzend wesentlich größere und besser geschützte Ziele zerstört werden, um überhaupt einen Effekt zu erzielen. Es ist längst nicht mehr unvorstellbar, dass die Golfstaaten ihnen den Überflug gestatten würden, aber dennoch müssten Hunderte Jets Tausende Kilometer zurücklegen und in der Luft betankt werden.
Nach israelischen Erkenntnissen stand der als Fabrik getarnte Reaktor unmittelbar vor der Inbetriebnahme. Obwohl die Bauarbeiten schon in den Neunzigern begonnen hatten, war Israel erst Jahre später dahinter gekommen, dass dort ein Reaktor zur Produktion von Plutonium entstehen sollte, der Stoff, aus dem die Bombe ist. Im Nachhinein wurde dies als Versagen der Geheimdienste gewertet. Den endgültigen Beweis für die Existenz eines Reaktors brachte aus israelischer Sicht eine Mossad-Aktion in Wien: Ein syrischer Funktionär hatte während einer Sitzung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) seinen Laptop im Hotel liegengelassen. Der Mossad verschaffte sich Zugang und fand darauf Bilder des Reaktors.
Israel informierte die Regierung von US-Präsident George W. Bush, es sah dringenden Handlungsbedarf. Laut den Geheimdiensten hatte ein Schiff mit nordkoreanischen Brennstäben abgelegt. Doch Bush lehnte es zum Ärger und Erstaunen Israels ab, die Anlage zu bombardieren. Israels Führung folgte dem Vorschlag der Armee für eine kleine Operation, um Syrien nicht zum Gegenschlag zu provozieren. Es wäre kurz nach dem Krieg gegen die Hisbollah in Libanon ein Konflikt gewesen, auf den die Armee nicht vorbereitet war. Tatsächlich versuchte Syrien, den Vorfall herunterzuspielen und sah von einer Reaktion ab.
In Israel ringen nun die damals Verantwortlichen um die Deutungshoheit und die Beschreibung ihrer Rollen. Der wegen Korruption verurteilte Ex-Premier Ehud Olmert fürchtet um seinen Platz in den Geschichtsbüchern, Verteidigungsminister Ehud Barak liebäugelt mit einem politischen Comeback - er zwang die Armee, alternative Pläne zu entwickeln, die schließlich Grundlage der Operation wurden. Oppositionsführer war damals der heutige Premier Netanjahu. Er war eingeweiht - und hält sich zugute, dass er die Aktion von Anfang an unterstützte.