Island und die EU:Insel gegen Kontinent

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Island möchte in die EU, aber die Gemeinschaft zerstört sich selbst mit unkontrolliertem Wachstum.

Martin Winter

Island möchte in die Europäische Union. So schnell wie möglich. Nun ja, werden die meisten sagen, kleines Land, alles ordentliche, nette Leute. Und dass die Banken auf der Insel ein zu großes Rad gedreht haben und nun überrollt wurden - das ist schließlich auch anderen widerfahren.

Mit einem Bein steht Island schon in der EU. (Foto: Foto: Reuters)

Außerdem steht Island mit einem Bein schon in der EU: Das Land gehört dem Binnenmarkt an, und seine Bürger reisen grenzenlos im Schengen-Raum umher. Es müssen nur noch ein paar Themen wie die Fischereipolitik und der Walfang geklärt werden, und der Insel stünde der Beitritt offen.

So einfach ist es nicht

So einfach könnte das sein. Doch so einfach darf es sich die EU nicht machen. Denn der Aufnahmeantrag aus Reykjavik stellt sie vor die Grundsatzfrage nach den Motiven ihrer Erweiterungspolitik. Alle nach Ende des Kalten Krieges abgeschlossenen und noch laufenden Beitrittsverfahren waren historisch und politisch begründet. Zehn mittel- und osteuropäische Staaten wurden aufgenommen, um die Teilung des Kontinents zu überwinden und die in Westeuropa erprobte Friedensordnung auszudehnen.

Ähnliche Motive leiten die europäische Politik gegenüber den Ländern, die aus dem gewaltsamen Zerfall Jugoslawiens hervorgegangen sind. Ihnen wurde der Beitritt in Aussicht gestellt, um diese gefährliche Krisenregion vor der Tür der EU in eine Zone der Stabilität zu verwandeln. Und jene Europäer, die der Aufnahme der Türkei das Wort reden, argumentieren mit dem geostrategischen Interesse der Europäer an einer Brücke in die muslimische Welt und natürlich hin zum rohstoffreichen kaspischen Becken.

Island ist nun der erste Staat, dessen Beitrittswunsch von schierer ökonomischer Panik getrieben wird. Nach dem Zusammenbruch seiner Bankkartenhäuser flieht er unter das Dach der mächtigen EU. Wie die knappe Abstimmung über den Antrag im isländischen Parlament belegt, liegt hier die Triebkraft für das plötzliche und so dringende europäische Interesse: Island sucht nach Schutz vor den Risiken der Globalisierung. Einen breiten Willen zur europäischen Integration gibt es dagegen nicht.

Formalitäten statt Motivation

Nun spielte die Motivation eines Landes bislang keine Rolle bei den Aufnahme-Verhandlungen. Sobald der Aspirant alle Bedingungen der EU erfüllt hatte, stand seinem Beitritt nichts mehr im Wege. So war das bisher, aber so wird es nicht mehr gehen. Wenn sie sich nicht gänzlich schwächen will, muss die EU nun ihre Politik ändern. Es führt kein Weg mehr daran vorbei, alle beitrittswilligen Länder sehr genau daraufhin zu bewerten, ob sie zur europäischen Integration beizutragen bereit sind. Das bisherige mechanistische Verfahren hat seit der Aufnahme Großbritanniens in den siebziger Jahren und dann mit der Erweiterung nach Osten Länder in die EU gebracht, die eine Vertiefung der politischen Zusammenarbeit nicht fördern, sondern wo immer möglich behindern.

Es bedurfte gewaltiger Mühen, den Lissabon-Vertrag überhaupt auf Papier zu bringen; und es scheint schier unmöglich, eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik auf die Beine zu stellen, die den Rest der Welt beeindrucken könnte. All dies bezeugt, wie gefährlich eine Erweiterung nach Strichliste ist. Die Menschen spüren das. Umfragen zeigen, dass die Europäer sich zunehmend "unsicher" in der sich immer weiter ausdehnenden EU fühlen. Sie wissen nicht, wohin das noch alles führen soll, und was es für sie bedeutet. Die EU steht in der Gefahr, immer mehr Länder zu gewinnen, aber die Menschen darüber zu verlieren.

Seit Jahren drücken sich die Mitglieder der EU vor der Debatte über die Ziele und die geographischen Grenzen der Union. Nun sollte der Antrag Islands ein Anstoß sein, diese Debatte nachzuholen. Es geht nicht darum, die Insel im Nordatlantik von Europa fernzuhalten. Vielmehr muss verhindert werden, dass die Erweiterungspolitik der EU einen dauerhaften Schaden nimmt.

© SZ vom 30.7.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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