Islamischer Staat:Anklage gegen IS-Rückkehrerin erhärtet sich

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Der Prozess gegen die IS-Rückkehrerin findet vor dem Oberlandesgericht München statt. (Foto: dpa)
  • In München beginnt Anfang April der Prozess gegen die IS-Rückkehrerin Jennifer W., in deren Obhut ein fünfjähriges versklavtes Mädchen verdurstet sein soll.
  • Bislang stützte sich die Anklage allein auf die Aussage der 27-jährigen Deutschen W..
  • Nach Informationen der SZ hat sich nun die angebliche Mutter des Mädchens gemeldet, die die Vorwürfe stützt.

Von Lena Kampf, Berlin

Das Mädchen soll etwa fünf Jahre alt gewesen sein, als Jennifer W. und ihr Ehemann Taha A. es im Sommer 2015 in Falludscha kauften, als ihre Sklavin. Das Kind, offenbar eine Jesidin, soll von den Truppen des sogenannten Islamischen Staats im Irak gefangen genommen worden sein. Das Ehepaar kaufte es für mehrere Hundert Dollar. Man suche sich aus, welche man wolle, die Kosten lägen zwischen 200 und 1000 Dollar, wird Jennifer W. später einem angeblichen Glaubensbruder berichten.

Das kleine Mädchen überlebte nicht lange in der Gewalt des Paares. Nach wenigen Wochen wurde es krank. Es konnte nicht mehr arbeiten, urinierte auf eine Matratze. Ihr Mann sei darüber so erbost gewesen, erzählte Jennifer W. später, dass er das Kind zur Strafe aus dem Haus schleppte und es bei 45 Grad in der Sonne im Hof mit Handschellen ankettete. Das Kind habe sich nicht bewegen können und er habe ihr kein Wasser gegeben, sagte Jennifer W. Sie habe ihren Mann angefleht und ihn gewarnt, dass das Kind sterben werde, wenn er es so liegenlasse. Doch Taha A. habe nicht auf sie gehört. Aber auch Jennifer W. löste offenbar weder die Fesseln ihrer Sklavin, noch brachte sie dem Kind etwas zu Trinken. Das Mädchen verdurstete in ihrer Obhut. Das sei ein schlimmer Tag gewesen, so Jennifer W.

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Der Generalbundesanwalt hat die deutsche IS-Rückkehrerin im vergangenen Dezember wegen Mordes und Kriegsverbrechen angeklagt, er wirft ihr vor, eine nach humanitärem Völkerrecht zu schützende Person getötet zu haben. Sie wird sich außerdem wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" vor dem Oberlandesgericht München verantworten müssen, ebenso wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Prozessbeginn ist der 9. April.

Jennifer W. ist nicht die erste weibliche Rückkehrerin, die in Deutschland aufgrund ihrer im IS-Herrschaftsgebiet mutmaßlich begangenen Taten angeklagt ist, aber ihr Fall ist ein besonderer. Er zeigt, welch integralen Bestandteil Frauen in der Terrororganisation darstellten. Sie waren keineswegs nur Hausfrauen und Mütter, sondern direkt am Regime beteiligt. So soll Jennifer W. nach eigenen Angaben Mitglied der "Hisba", einer Art Sittenpolizei, gewesen sein und bewaffnet in Parks in Falludscha und Mossul patrouilliert haben.

Die 27-Jährige aus Lohne in Niedersachsen war 2014 aus Deutschland ausgereist und kehrte im September 2016 schwanger zurück, um ihr Kind zu Hause auf die Welt zu bringen. Bei einem neuerlichen Ausreiseversuch ins IS-Gebiet mit ihrer Tochter im Sommer 2018 wurde sie festgenommen. Die Sicherheitsbehörden waren über ihre Pläne informiert gewesen und hatten eine Vertrauensperson auf sie angesetzt. Der Mann, der sie außer Landes bringen sollte, war ein Spitzel der niedersächsischen Polizei. Während der Fahrt berichtete ihm Jennifer W. ausführlich über ihre Zeit beim IS und vom Tod des Mädchens.

Weil die Details dazu bisher allein auf dieser Aussage von Jennifer W. basieren und sie seitdem schweigt, gilt die getötete Fünfjährige in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts als nicht identifiziert. Doch jetzt, im März, meldete sich eine Irakerin bei den deutschen Behörden, die angibt, die Mutter des Kindes zu sein. Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung und WDR könnte ihre Aussage die Anklage gegen Jennifer W. stützen. Die Jesidin wird von der deutschen Strafverteidigerin Natalie von Wistinghausen und der internationalen Menschenrechtsanwältin Amal Clooney vertreten und im Prozess gegen Jennifer W. als Nebenklägerin auftreten. Die Bundesanwaltschaft wollte sich auf Nachfrage zu "einzelnen Ermittlungsschritten" nicht äußern.

Rechtsanwalt Ali Aydin, der Verteidiger von Jennifer W., bezweifelt dennoch, dass es die Tat überhaupt gegeben hat. "Es kann sein, dass es ein anderer Sachverhalt ist", sagt er. "Unterstellt man, die Geschichte ist nicht nur ausgedacht, stellt sich die Frage, was sie hätte machen können, um die Tat zu verhindern." Seine Mandantin habe nach Aktenlage berichtet, dass sie versucht habe, das Kind zu retten, indem sie auf ihren Mann eingewirkt habe. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft hat sie den Tod des Kindes billigend in Kauf genommen. Als "Beschützergarant" habe sie sich durch Unterlassen strafbar gemacht.

Jennifer W. ist noch immer tief in der IS-Ideologie verwurzelt

Für den Tod der Fünfjährigen soll Taha A. nach den Regeln des "Islamischen Staats" bestraft worden sein, die vorschreiben, dass auch Sklaven angemessen behandelt werden müssen. Jennifer W. selbst hat als Mitglied der Sittenpolizei dafür gesorgt, dass solche Vorschriften des IS eingehalten werden. Sie war offenbar sehr stolz auf ihren Job bei der "Hisba", wo sie 50 bis 100 Dollar Monatslohn erhielt.

Die "Hisba" war für die Einhaltung des Tabak- und Alkoholverbots sowie von Kleidervorschriften zuständig und konnte bei Verstößen Strafen und körperliche Züchtigungen, etwa Auspeitschen, verhängen. Jennifer W. sagte, sie habe selbst keine Bestrafungen vorgenommen, aber das sei auch nicht notwendig gewesen. Wenn sie in weißem Gewand, bewaffnet mit Gewehr und Pistole, durch die Parks marschiert sei, hätten die Frauen dafür gesorgt, richtig bekleidet zu sein. Die Frauen hätten sehr viel Angst vor ihr gehabt, sagte sie.

Jennifer W. ist 2016 über die Türkei zurück nach Deutschland gekommen und stand seitdem unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden. Nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft soll sie in Deutschland keinesfalls der IS-Ideologie abgeschworen haben, im Gegenteil, sie sei darin weiterhin "tief verwurzelt". So habe sie sich in radikal dschihadistischen Internetforen aufgehalten und sei Administratorin einer Gruppe gewesen, die Spenden für inhaftierte Glaubensbrüder und -schwestern gesammelt habe. Die 27-Jährige, die die Schule nach der achten Klasse ohne Abschluss verließ und nie eine Ausbildung abschloss, fühlte sich aber trotz der Geburt ihrer Tochter in Deutschland offenbar nicht wohl. Ein Leben als Muslimin sei ihr hier unmöglich, sagte sie in einem Chat. Die Zeit beim IS sei trotz fehlendem Essen und Elektrizität das Beste für sie gewesen.

© SZ vom 27.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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