Imame bespitzeln in Deutschland Erdoğan-Kritiker, in Moscheen wird der Märtyrertod fürs türkische Vaterland gepriesen, wer anders denkt, wird hinausgedrängt. Der türkisch-islamische Moscheeverband Ditib hat sich in einer Weise zum verlängerten Arm Ankaras und zum Fanclub des autokratischen Präsidenten entwickelt, die auch frustrationstolerante Freunde des deutsch-türkisch-christlich-islamischen Dialogs ratlos macht.
Viele Jahre lang war Ditib größter Partner dieses Dialogs, nun scheint der Verband an seiner eigenen Disqualifikation zu arbeiten. Doch die Beobachtung des Verbandes mit seinen 900 Moscheen durch den Verfassungsschutz, wie das die Behörde unter ihrem Noch-Chef Hans-Georg Maaßen offenbar wünscht, wäre nach jetzigem Stand ein großer Fehler.
Zunächst einmal sind die Belege dafür dünn, dass die Ditib gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung in Deutschland agitiert. 19 Imame stehen im Verdacht der Spitzelei, so manche Freitagspredigt ist schlimm, das ist aber kein Hinweis darauf, dass hier ein Verband eine andere Bundesrepublik anstrebt.
Die Zusammenarbeit von Staat und muslimischen Organisationen stünde vor dem Aus
Den meisten Funktionären und Moscheevorständen geht es wie den einfachen Gläubigen: Sie finden den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan klasse - und den deutschen Rechtsstaat; sie bejahen den konservativ-islamischen Rollback in der Türkei genauso wie den Pluralismus in der deutschen Gesellschaft, der ihnen zugutekommt.
Man muss das als widersprüchlich kritisieren und den Scharfmachern unter den Funktionären vorwerfen, einen Keil zwischen die Deutschtürken und die Mehrheit im Land zu treiben. Das aber muss Gegenstand der - harten - politischen Auseinandersetzung sein, es ist kein Fall für den Geheimdienst.
Würde Ditib nun der Verfassungsfeindschaft verdächtig, beförderte dies die Abgrenzungstendenzen vieler Muslime im Land, aber auch die der Mehrheit gegenüber den Muslimen.
Vor allem stünde die Zusammenarbeit von Staat und muslimischen Organisationen vor dem Aus: Mit wem soll eine Landesregierung noch über einen islamischen Religionsunterricht verhandeln, wenn die Ditib ausfällt? Mit dem ebenso türkeinahen Verband der islamischen Kulturzentren? Mit dem Islamrat, dominiert von der konservativ-islamischen Millî Görüş? Mit dem Zentralrat der Muslime, der eine kleine Minderheit der Gläubigen vertritt?
Im November soll die Islamkonferenz ihre Arbeit wiederaufnehmen; Vertreter der Verbände und eines liberalen Islams wollen mit Abgesandten von Bund, Ländern und Kommunen über die Zukunft des Zusammenlebens beraten. Fällt hier die Ditib aus, ist die Konferenz bedeutungslos.
Ist das vielleicht gar der Grund, jetzt die Debatte um die Beobachtung von Ditib zu befeuern?
Wolfgang Schäuble, der 2006 die erste Islamkonferenz einberief, war überzeugt, dass es ein Land befriedet und stabilisiert, wenn es gelingt, den Islam zu integrieren, seine bindenden und gemeinschaftsfördernden Kräfte zu nutzen - und dort klare Grenzen zu setzen, wo Menschenrechte und Rechtsstaat bedroht sind.
Schon damals gab es Gegenkräfte, die im Islam vor allem ein Sicherheitsproblem sahen und die Verbände weniger als (schwierige) Partner, sondern als Empfänger klarer Ansagen. Würde Ditib zum Fall für den Verfassungsschutz, hätten sich die Ausgrenzer durchgesetzt. Es wäre ein echter Schaden fürs Land.