Irans Opposition vor Gericht:Chatami spricht von "Schauprozess"

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Keine öffentlichen Verhandlungen, keine ausländische Presse: Ex-Präsident Chatami kritisiert das Verfahren gegen 100 Oppositionelle. Ähnlich äußert sich Rafsandschani.

Der reformorientierte frühere iranische Präsident Mohammed Chatami hat das am Samstag begonnene Strafverfahren gegen 100 Oppositionspolitiker und Demonstranten in Teheran als "Schauprozess" verurteilt. Auf seiner Website erklärte er am Sonntag, dieser "bühnenreife Prozess" werde das Vertrauen in das Establishment schwächen. "Die Geständnisse sind wertlos", sagte er mit Blick auf Berichte, wonach ein prominenter angeklagter Reformpolitiker vor Gericht eingeknickt ist.

Der frühere iranische Vizepräsident Abtahi während des Prozesses in Teheran. (Foto: Foto: Reuters)

Chatami beklagte schwerwiegende Verfahrensmängel: "Das größte Problem ist, dass er nicht in öffentlicher Sitzung stattfand." Außerdem seien die Verteidiger der Angeklagten vor Prozessbeginn nicht über den Inhalt der Klagen informiert worden. Den Angeklagten wurden Angriffe auf die nationale Sicherheit, Störung der öffentlichen Ordnung und Vandalismus vorgeworfen.

Auch der immer noch einflussreiche Ex-Präsident Ali Haschemi Rafsandschani äußerte sich kritisch zu dem ersten Prozess nach den Massenprotesten gegen die umstrittene Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad Mitte Juni. Den Angeklagten werden Aufruhr, Vergehen gegen die nationale Sicherheit sowie Verschwörung gegen das herrschende System vorgeworfen. Vergehen gegen die nationale Sicherheit können im Iran mit dem Tod geahndet werden.

Rafsandschani und Chatami hatten im Wahlkampf beide Oppositionsführer Mir Hussein Mussawi unterstützt, der nach offiziellen Angaben bei der Wahl unterlegen war. Die Opposition erkennt das Ergebnis nicht an und spricht von Betrug.

Ausländische Medien ausgesperrt

Der mitangeklagte ehemalige Vize-Präsident Mohammed Ali Abtahi, ein enger Vertrauter Chatamis, erklärte laut der halb-amtlichen Nachrichtenagentur Fars vor Gericht überraschend, die Präsidentenwahl sei sauber verlaufen. "Allen meinen Freunden, die mich hören, sage ich, dass die Betrugssache eine Lüge war und ein Vorwand für die Krawalle." Ob diese Kehrtwende des 51-Jährigen auf Druck zustande gekommen war, blieb offen. Ausländischen Medien war die Teilnahme an dem Prozess zur Berichterstattung verwehrt.

Abtahi warf Rafsandschani vor, sich gegen Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei verschworen zu haben. Rafsandschani, Mussawi und Chatami seien "eingeschworene" Verbündete. Ihr Ziel sei die "samtene Revolution". Rafsandschani wies das als "Lüge" zurück und erklärte, es sei "unklar, unter welchen Umständen diese Geständnisse zustanden gekommen sind", wie iranische Medien berichteten.

Der iranisch-kanadische Journalist Masiar Bahari, der für das US-Magazin Newsweek arbeitet, sagte laut Nachrichtenagentur Irna, er habe unwissentlich am vom Westen initiierten Versuch einer "samtenen Revolution" teilgenommen.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) forderte die Führung in Teheran auf, keine Schauprozesse zu veranstalten. "Wir werden darauf achten, dass es nicht dazu kommt", sagte die Generalsekretärin von AI-Deutschland, Monika Lüke, der Berliner Zeitung. In den Gefängnissen dürfe nicht mehr gefoltert werden, die Pressefreiheit müsse wieder hergestellt werden.

Bilder aus dem großen, voll besetzten Gerichtssaal zeigten die Angeklagten in grauer Gefängniskleidung. Unter ihnen sind der ehemalige Regierungssprecher Abdullah Ramesansadeh, Ex-Vizeaußenminister Mohsen Aminsadeh und der Reformpolitiker Mohsen Mirdamadi. Ex-Vizepräsident Abtahi sah erschöpft aus. Seine Frau sagte den Medien, er habe in 43 Tagen Haft zehn Kilogramm Gewicht verloren. Es ist das erste Mal seit der Islamischen Revolution im Iran vor 30 Jahren, dass Dutzende ehemaliger Regierungsvertreter und prominenter Politiker auf der Anklagebank sitzen.

Mussawi meldet sich zu Wort

Mussawi wies am Sonntag Vorwürfe der Regierung, ausländische Kräfte hätten ihre Finger bei den Protesten im Spiel gehabt, zurück. "Die Menschen wollen Freiheit und Gerechtigkeit, die Bewegung hat keinerlei Beziehungen zu ausländischen Elementen", schrieb er auf seiner Website. Die Regierung wirft ausländischen Agenten vor, die Proteste angeheizt zu haben und schuld an den Todesopfern zu sein. Wissenschaftsminister Mohammed Mehdi Sahedi erklärte unterdessen, anti-islamische-Revolutions-Gruppen hätten während der jüngsten Proteste Chemiebombenanschläge geplant, die der Geheimdienst aber vereitelt habe.

Auch der Vorsitzende des kleinen Reform-Blocks im Parlament, Mohammed Reza Tabesch, kritisierte den Prozess: "Die Methoden, die dabei angewandt wurden, (...) haben alle in einen Schockzustand versetzt." Die Gefangenen hätten keinen Zugang zu Anwälten und seien sich nicht genau im Klaren über die exakten Anklagepunkte. Es gebe sehr beunruhigende Berichte von Angehörigen über ihre "kritische" Lage.

Die Wiederwahl des ultrakonservativen Präsidenten Ahmadinedschad am 12. Juni hatte Massenproteste in Teheran und anderen iranischen Städten ausgelöst, die zum Teil gewaltsam niedergeschlagen wurden. Bis zu 30 Demonstranten sollen ums Leben gekommen sein, es gab mehr als 1000 Festnahmen. Die meisten Inhaftierten sind inzwischen wieder frei. Etwa 250 sollen derzeit noch in Haft sein.

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