Iran:"Sie wollen ihn heilen, um ihn zu töten"

Lesezeit: 3 min

Seit September protestieren die Menschen in Iran gegen die autoritäre Regierung. (Foto: AP/AP)

Der landesweit bekannte Arzt Hamid Ghareh Hassanlou soll hingerichtet werden. Er wurde gefoltert und liegt verletzt im Krankenhaus. Der Fall bietet einen erschütternden Einblick in Irans Justiz.

Von Tomas Avenarius, Istanbul

Ein als sozialer Wohltäter landesweit bekannter Arzt soll in Iran hingerichtet werden. Ein Gericht hatte den 53-jährigen Radiologen Hamid Ghareh Hassanlou Anfang Dezember zum Tode verurteilt, weil er an Protesten in seiner Heimatstadt Karadsch teilgenommen und sich an der Tötung eines Basidsch-Milizonärs beteiligt habe. Besonders bestürzend an dem Urteil ist, dass der Mediziner bei der Vernehmung so schwer gefoltert worden ist, dass er noch immer mit lebensgefährlichen Verletzungen in einer Klinik liegt. Seine Ehefrau Farzaneh Ghareh Hassanlou, die ebenfalls gefoltert wurde, bekam 25 Jahre strenge Isolationshaft.

Der Fall Hassanlou bietet einen erschütternden Einblick in das System der iranischen Justiz, die sich im Umgang mit den seit vier Monaten Protestierenden als Lynchjustiz entpuppt. Die meisten der Angeklagten, die wegen der Teilnahme an den nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini begonnenen Demonstrationen festgenommen wurden, haben nach übereinstimmenden Berichten ihrer Familien und von Menschenrechtsorganisationen keinen Zugang zu eigenen Anwälten.

Sie kennen die Anklageschrift nicht und werden unter Folter zu Geständnissen gezwungen, die zum Todesurteil führen können. Dies war der Fall bei zwei bereits exekutierten Männern: Der 23-jährige Rapper Mohsen Schekari war nach einem Scheinprozess im Gefängnis gehängt worden, der 23-jährige Madschidresa Rahnaward öffentlich.

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Auch der Fall Hassanlou wirkt nach Darstellungen aus dem Umfeld der Familie komplett inszeniert. Der Arzt aus Karadsch, Vater zweier Kinder, ist in Iran für seine Wohltätigkeitsaktivitäten bekannt. Er hat sich über Jahre gegen Kinderarbeit eingesetzt und Schulen bauen lassen. Öffentlich politisch seien weder er noch seine 46-jährige Frau je gewesen, heißt es im Umfeld der Familie.

Der Arzt wurde bei seiner Vernehmung schwer gefoltert

Was genau geschehen ist am Abend des 3. November in Karadsch bei Teheran, ist unklar. Bei den Protesten, die am 40. Todestag für zwei von den Sicherheitskräften getötete Demonstranten stattgefunden hatten, soll ein Basidsch-Milizionär namens Ruhollah Ajamian zwei Protestierende getötet haben. Er sei dann selbst angegriffen und mit einem Messer schwer verletzt worden.

Der Arzt Hassanlou, der nach Angaben aus seinem Umfeld mit seiner Frau im Auto unterwegs gewesen ist, habe angehalten, um den Verletzten zu versorgen. Dabei sei er selbst in einem Handgemenge mit dem Messer an der Hand verletzt worden. Der Basidsch-Milizionär starb. Das Ehepaar sei nach Hause gefahren und dort festgenommen worden.

Ob die Hassanlous an den anfangs friedlichen Protesten teilgenommen hatten oder zufällig vorbeifuhren, ist offen. Grundlage der Anklage und der Verurteilung sei die Verletzung der Hand des Radiologen und Aufnahmen von Überwachungskameras, die unvollständig seien, hieß es bei Freunden der Familie. Vor allem aber: Unbestreitbar ist das Ehepaar gefoltert worden. Der Arzt liegt noch immer im Krankenhaus. Berichten aus dem Familienumfeld zufolge wurde er so brutal geschlagen, dass vier Rippen brachen.

Seine Verletzungen waren so schwer, dass sie im Gefängnishospital nicht behandelt werden konnten. Eine der zersplitterten Rippen hatte die linke Lunge durchbohrt. Bisher kann Hassanlou nicht aus der Klinik entlassen werden. Die Ärzte müssen den linken Lungenflügel entfernen, um sein Leben zu erhalten - das er nach den Plänen des Regimes dann am Galgen beenden soll. Eine Iranerin, die ihn kennt, sagt: "Sie wollen ihn heilen, um ihn zu töten."

Seine Frau wurde zu 25 Jahren Isolationshaft verurteilt

So erinnert der Prozess an Willkürjustiz. Hassanlou wurde nach Angaben des Familienumfeldes in Klinikwäsche vorgeführt; er war davor mehrfach operiert worden. Der Angeklagte habe dem Gericht seine Folterspuren gezeigt: schwerste Blutergüsse an Oberschenkel, Hüften und Lenden. Ohne Wirkung. Grundlage des Todesurteils, und das macht den Fall noch grausiger, scheint auch kein "Geständnis" des Mediziners zu sein, sondern die unter Folter erzwungene Aussage seiner eigenen Frau: Farzaneh Ghareh Hassanlou soll mit einem Schlagstock so lange auf den Kopf geschlagen worden sein, bis sie erklärte, ihr Ehemann habe den am Boden liegenden Milizionär gemeinsam mit anderen Protestierenden getreten und geschlagen.

Farzaneh Ghareh Hassanlou hat ihre erzwungene Aussage vor Gericht widerrufen, ohne Wirkung. Auch das Urteil gegen sie ist barbarisch: Die Medizinlaborantin wurde zu 25 Jahren "Exil-Haft" in Ahwas im Süden Irans verurteilt. Sie darf in dieser Zeit nicht besucht werden oder telefonieren. Das kommt zweieinhalb Jahrzehnten Isolationshaft gleich.

Aus dem Familienumfeld hieß es, einflussreiche Persönlichkeiten hätten sich Medienberichten zufolge bei Irans Revolutionsführer Ayatollah Ali Chamenei für die Hassanlous eingesetzt, unter ihnen ein ehemaliger Minister und Berater des geistlichen Oberhaupts. Bisher offenbar ohne Erfolg. Im Umfeld hofft man aber noch immer auf Aufhebung des Todesurteils gegen den Arzt und auf Reduzierung der Haftzeit seiner Frau. "Aber bei uns in Iran passiert so etwas nicht", heißt es dann erbittert.

Unklar ist, ob das Paar in Berufung gehen kann. Das Ehepaar hat inzwischen zwar eigene Anwälte gefunden. Aber Irans Justizchef Mohseni-Edschehi hatte sich bereits zu den insgesamt fünf in Karadsch verhängten Todesurteilen geäußert: "Die Schuldsprüche gegen eine Reihe von Personen sind bestätigt worden und werden bald vollzogen werden." Eine dieser Personen könnte Hamid Ghareh Hassanlou sein, der Arzt und Wohltäter aus Karadsch.

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