Irak:Viele Tote bei neuen Demonstrationen

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Demonstranten versuchen in der irakischen Stadt Nadschaf eine Straße zu blockieren. (Foto: Alaa Al-Marjani/Reuters)

Anordnungen der Regierung deuten darauf hin, dass die Proteste gewaltsam niedergeschlagen werden sollen.

Von Paul-Anton Krüger, München

Bei neuen gewaltsamen Auseinandersetzungen im Irak haben regierungstreue Einheiten seit Mittwochabend mindestens 36 weitere Demonstranten getötet. Damit stieg die Zahl der Todesopfer auf mehr als 350 seit Beginn der Proteste. Zu den schwersten Zusammenstößen kam es in der südirakischen Stadt Nasiriya. Dort rückten Polizisten und möglicherweise auch Soldaten der Armee auf zwei Brücken vor, die von den Demonstranten besetzt waren, und eröffneten das Feuer mit scharfer Munition. 29 Menschen starben, 150 weitere sollen verletzt worden sein. In der Hauptstadt Bagdad, wo seit Wochen Protestierende den zentralen Tahrir-Platz sowie zwei angrenzende Brücken und mehrere Gebäude besetzt halten, starben vier Demonstranten; 22 weitere wurden verletzt.

In Nadschaf gab es drei Tote. Das irakische Militär kündigte an, Krisenzentren einzurichten, mit denen vor allem im Süden des Irak Ruhe und Ordnung wieder hergestellt werden sollen. Premier Adil Abdul Mahdi habe den Befehl dazu erteilt und Kommandeure benannt, die auf Ebene der Provinzen den Befehl über alle Einheiten der verschiedenen Sicherheitskräfte übernehmen sollen. Damit könnte eine Niederschlagung der Proteste wie im benachbarten Iran und eine weitere Eskalation der Gewalt bevorstehen. Die Regierung in Bagdad steht unter starkem Einfluss Irans, die Revolutionsgarden kontrollieren de facto Teile des Sicherheitsapparates und mehrere mächtige Milizen, die nur auf dem Papier Bagdad unterstellt sind.

In der Nacht zuvor war das iranische Konsulat in Nadschaf in Brand gesetzt worden. Berichte über Tote und Verletzte gab es nicht. Die iranischen Diplomaten hatten sich in Sicherheit gebracht. Die Regierung in Teheran verurteilte den Angriff scharf. Bagdad müsse "verantwortungsbewusst, entschieden und effektiv" gegen die Angreifer vorgehen, forderte der Sprecher des Außenministeriums, Abbas Mousavi.

Bereits Anfang November hatten Demonstranten Irans Konsulat in Kerbela attackiert. Die beiden Städte sind den Schiiten heilig. Nadschaf ist zudem Sitz der wichtigsten schiitischen Kleriker im Irak, von denen allerdings viele Iran kritisch gegenüberstehen und das politische Modell der Islamischen Republik ablehnen.

Iranische Offizielle stellen die Angriffe als Werk verfeindeter Staaten dar, vor allem Saudi-Arabiens, Israels und der USA. Sie hätten das Ziel, die engen Beziehungen zwischen Iran und dem Irak zu beschädigen. Allerdings hat sich unter den Schiiten im Südirak viel Wut gegen Iran angestaut.

In Nasiriya hatte es jüngst tödliche Übergriffe auf Demonstranten gegeben; diese beschuldigen von Iran kontrollierte Milizen, willkürlich Menschen zu verschleppen. Nach dem militärischen Sieg gegen die Terrormiliz Islamischer Staat haben sich die Milizen wirtschaftlichen Aktivitäten zugewandt und werden wie die Zentralregierung in Bagdad als korrupt gesehen, gar als Besatzer kritisiert. Auch in Bagdad richten sich die Proteste zunehmend gegen Iran. Viele Demonstranten dort sind Anhänger des populistischen Schiiten-Predigers Moqtada al-Sadr, der Irans Präsenz im Irak ablehnt.

© SZ vom 29.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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