Irak:Unter der goldenen Sonne Kurdistans

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Viele Kurden wollen seit Langem einen eigenen Staat: Demonstration für das Referendum am Wochenende in Erbil. (Foto: Berci Feher/dpa)
  • Der Widerstand der irakischen Zentralregierung in Bagdad gegen das Referendum über ein unabhängiges Kurdistan und eine Loslösung ist massiv.
  • Spannungen verursacht vor allem, dass Erbil nicht nur in der autonomen Region an die Urnen rufen will, sondern auch in Gebieten, um die man sich mit Bagdad streitet.
  • Wird die Abstimmung abgehalten, könnte dies zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen, eine Mehrheit für die Unabhängigkeit gilt trotzdem als höchstwahrscheinlich

Von Paul-Anton Krüger

Jakub Assad steht in oliv-brauner Uniform an einem Ausguck in den Bergen über Baschiqa im Nordirak - auf der Brust einen Aufnäher mit der kurdischen Flagge, rot-weiß-grün, in der Mitte die goldene Sonne. Das war Anfang Oktober 2016 zu Beginn der Offensive zur Befreiung Mossuls von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). "Jetzt kämpfen wir das erste Mal Seite an Seite mit der irakischen Armee", hatte der Offizier der Armee des autonomen Kurdistans im Norden des Irak damals gesagt. Gegen die Dschihadisten. Es gab einen gemeinsamen Feind, allerdings, wie sich inzwischen zweifellos herausgestellt hat, kein gemeinsames Ziel.

Auch sechs Brüder Assads sind Peschmerga, also in der Kurden-Armee, sogar der Vater, Jahrgang 1959, wurde reaktiviert. 2000 kurdische Kämpfer haben in den Schlachten gegen den IS ihr Leben verloren. Aber die ganze Familie war sich einig, dass sich jedes Opfer lohnen würde. Für den Traum, den sie nie aufgegeben haben: einen eigenen Staat, ein unabhängiges Kurdistan. Dafür kämpften sie. Nun wollen sie der Verwirklichung einen Riesenschritt näher kommen.

Am 25. September sollen die Menschen in den Kurdengebieten abstimmen über die Unabhängigkeit vom Irak. Als Lohn für den Sieg über den IS. Ein Referendum, nicht bindend zwar, aber mit enormer Symbolkraft für alle Kurden, im Irak, in Syrien, der Türkei und Iran, die sich bei allen Unterschieden als größtes Volk der Erde ohne eigenen Staat verstehen, je nach Schätzung 30 bis 45 Millionen Menschen.

Vorangetrieben hat die Abstimmung Masud Barzani, seit 2005 Präsident der kurdischen Autonomiegebiete im Irak und Chef der Demokratischen Partei Kurdistans (DPK), die in der Hauptstadt Erbil den Ton angibt. Es wird mitgetragen von der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) Dschalal Talabanis und den meisten anderen politischen Gruppen. Die oppositionelle Gorran, bei der Wahl 2013 zweitstärkste Kraft, fordert eine Verschiebung und blieb am Freitag der Sitzung des Parlaments fern, das die Volksabstimmung bestätigte.

Spannungen ruft besonders der Anspruch der Kurden auf die Ölstadt Kirkuk hervor

So breit die Mehrheit in Kurdistan für das Streben nach Unabhängigkeit ist, so massiv ist der Widerstand der irakischen Zentralregierung in Bagdad gegen das Referendum und eine Loslösung. Darin weiß sich Premier Haidar al-Abadi einig sowohl mit den Nachbarstaaten als auch den Amerikanern und Europäern. Das Oberste Gericht in Bagdad ordnete am Montag an, das Referendum zu stoppen, bis entschieden sei, ob es der irakischen Verfassung entspreche. Es gab zunächst keine Hinweise, dass sich die Kurden dem beugen würden.

Spannungen verursacht vor allem, dass Erbil nicht nur in der Autonomie-Region an die Urnen ruft, sondern auch in Gebieten, um die man sich mit Bagdad streitet - und die seit Sommer 2014 unter Kontrolle der Peschmerga stehen. Teilweise rückten sie einfach ein, als die irakische Armee vor dem IS floh, teilweise kämpften sie die Gebiete gegen den IS frei. Im Zentrum des Streits: Kirkuk mit seinen Ölfeldern, nach Basra die wichtigsten im Land. Der Gouverneur von Kirkuk hatte die kurdische Flagge hissen lassen und angekündigt, die Abstimmung abhalten zu wollen. Das Parlament in Bagdad erklärte ihn für abgesetzt.

Mit einem Einmarsch drohte unverhohlen die von Iran gestützte und gesteuerte Badr-Organisation. Die Kämpfer der mächtigen Schiiten-Miliz könnten in Kirkuk die Abstimmung verhindern. Premier Abadi sagt zumindest, die Armee werde eingreifen, wenn die irakische Bevölkerung von "ungesetzlicher Gewalt" bedroht werde. Kirkuk ist eine ethnisch gemischte Stadt mit starken arabischen und turkmenischen Bevölkerungsanteilen. Die kurdische Regionalregierung verweist darauf, dass die irakische Verfassung Volksabstimmungen in umstrittenen Gebieten vorsieht, die freilich nie abgehalten wurden.

Die Peschmerga haben die von ihnen kontrollierten Gebiete mit Befestigungen gesichert: Wachtürme aus Beton, Gräben, Erdwälle. Was einst den IS abhalten sollte, könnte jetzt zum Bollwerk gegen irakische Truppen werden. Kaum etwas fürchtet die internationale Gemeinschaft mehr als einen neuen Bürgerkrieg. Das wäre eine Ablenkung vom Kampf gegen den IS, der ja andauert, auch im Irak, und könnte das Land auf Jahre destabilisieren. Die USA machen Druck, um eine Verschiebung zu erreichen. Der Sondergesandte Brett McGurk besuchte Präsident Barzani, legte ihm einen Alternativplan für Verhandlungen mit Bagdad vor und kritisierte die Abstimmung als "unklug und zeitlich unpassend".

Auch die Bundesregierung betrachtet das Vorhaben sehr kritisch. Die territoriale Integrität des Irak sei ein hohes Gut. Man lehne ein nicht mit Bagdad abgestimmtes Referendum ab. Für Berlin besonders unangenehm: Die Waffenhilfe für die Kurden gegen den IS könnte sich noch als problematisch erweisen. Peschmerga würden dann womöglich mit deutschen Milan-Panzerabwehrraketen der irakischen Armee gegenüberstehen. Die Bundesregierung hatte immer großen Wert darauf gelegt, dass alle Lieferungen und die Ausbildungshilfe von Bagdad genehmigt wurden. Ob Premier Abadi das nach einem Referendum weiter tun würde, ist mehr als fraglich.

Westliche Diplomaten gaben sich lange überzeugt, dass Präsident Barzani mit der Ankündigung eines Referendums politische Konzessionen Bagdads und der internationalen Gemeinschaft erzwingen wolle, nicht zuletzt im Streit um die Öleinnahmen. Die Wirtschaftskrise in den Kurdengebieten wird maßgeblich mit dadurch verursacht, dass Bagdad kein Geld mehr überweist. Dazu kommen Hunderttausende Flüchtlinge, die versorgt werden müssen.

Seit jüngst aus China Wahlurnen nach Erbil geflogen wurden, sieht es so aus, als lasse sich Barzani nicht beirren - auch, weil er nicht die gewünschten Zusagen erhielt. Der 71-Jährige würde wohl als der Kurdenführer in die Geschichtsbücher eingehen, der den Grundstein für ein unabhängiges Kurdistan gelegt hat. Er verweist zwar darauf, dass der Abstimmung nicht gleich die Unabhängigkeitserklärung folgen werde - dennoch könnte der Preis für die Kurden hoch sein. Politische und wirtschaftliche Isolation, gar ein Krieg. Doch viele Kurden sind offenbar bereit, das zu riskieren: Eine Mehrheit für die Unabhängigkeit gilt als höchstwahrscheinlich.

© SZ vom 19.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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