Irak:Schutz mit zu viel Macht

Irak: Ihren Zorn gegen die angebliche Schutzmacht Iran entluden junge Iraker bei Protesten vor dem iranischen Konsulat in Kerbala.

Ihren Zorn gegen die angebliche Schutzmacht Iran entluden junge Iraker bei Protesten vor dem iranischen Konsulat in Kerbala.

(Foto: Mohammed Sawaf/AFP)
  • Irans Oberster Führer Ayatollah Ali Chamenei hat jüngst deutlich gemacht, dass er die Proteste im Irak für das Werk ausländischer Aufstachelung hält.
  • Tatsächlich richten sie sich vor allem gegen die hohe Arbeitslosigkeit und die systematische Korruption.
  • Iran hat sich von Beginn an gegen die Forderung der Demonstranten gestellt, das politische System im Irak zu reformieren und eine neues Wahlgesetz zu erlassen.

Von Paul-Anton Krüger

Kerbela ist den Schiiten eine heilige Stadt. Sie steht für den Märtyrertod des Prophetenenkels Hussein und damit letztlich auch für den Kampf der Unterdrückten gegen die Unterdrücker. Ausgerechnet hier, unweit der goldenen Kuppeln der Schreine von Hussein und Abbas, haben in der Nacht zum Montag wütende Demonstranten das iranische Konsulat attackiert und die Flagge des schiitischen Regimes in Teheran durch eine irakische ersetzt. Sie warfen Molotowcocktails und skandierten: "Kerbela ist frei - Iran raus, raus!" Die Symbolik liegt für Iraker auf der Hand: Hier demonstrieren ganz überwiegend Schiiten auch gegen die selbsterklärte Schutzmacht der Schiiten im Irak und den massiven Einfluss, den Iran auf die Politik im Nachbarland ausübt.

Irans Oberster Führer Ayatollah Ali Chamenei hat jüngst deutlich gemacht, dass er die Proteste für das Werk ausländischer Aufstachelung hält. Die USA, westliche Geheimdienste seien für die Unruhen verantwortlich, sagte er, und das Geld "reaktionärer Staaten" - eine Chiffre für Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Die beiden Führungsmächte des sunnitischen Blocks am Golf sind die wichtigsten regionalen Widersacher Irans.

Tatsächlich richten sich die Proteste vor allem gegen die hohe Arbeitslosigkeit und die systematische Korruption, die sich aus Sicht vieler Demonstranten untrennbar mit dem politischen System verbindet. Politische Ämter werden darin nach einem informellen Proporzsystem an die verschiedenen religiösen und ethnischen Gruppen vergeben. Politiker bedienen ihre Klientel mit Jobs im Staatsdienst und anderen Zuwendungen. Der Großteil der Bürger aber geht leer aus und leidet zudem darunter, dass der Staat grundlegende Dienstleistungen nicht erbringt. Obwohl der Irak Milliarden aus dem Verkauf von Öl einnimmt, bricht im Sommer bei Temperaturen weit jenseits der 40 Grad regelmäßig die Stromversorgung unter der Last der Klimaanlagen zusammen. In Basra, der drittgrößten Stadt des Landes, und etlichen anderen Orten, ist das Leitungswasser nicht trinkbar.

Schiitische Bündnisse stellen die Mehrheit im Parlament

Getragen werden die Proteste, die neben Bagdad auch den Süden erfasst haben, überwiegend von Schiiten, die nach dem Sturz des sunnitischen Diktators Saddam Hussein durch die Amerikaner lange als Profiteure der neuen Ordnung galten. Schiitische Bündnisse stellen die Mehrheit im Parlament, doch ist die stärkste Fraktiondie Vorwärts-Allianz des populistischen Predigers Muqtada al-Sadr. Er lehnt Irans starken Einfluss in Bagdad entschieden ab und forderte ein Technokratenkabinett - musste sich aber auf einen Kompromiss einlassen mit Teheran nahen Gruppen. Chameneis außenpolitische Berater Ali Akbar Velayati sagte schon vor der Wahl im Mai 2018 mit Blick auf Sadrs Wahlbündnis, Iran werde nicht zulassen, dass "Liberale und Kommunisten" den Irak regieren.

Iran hat sich von Beginn an gegen die Forderung der Demonstranten gestellt, das politische System im Irak zu reformieren und eine neues Wahlgesetz zu erlassen. Der Revolutionsgarden-General Qassim Soleimani, der de facto Irans Politik gegenüber dem Irak bestimmt, flog in Bagdad ein. Anstelle des irakischen Premiers Adil Abdul Mahdi leitete er eine Krisensitzung von Verantwortlichen des Sicherheitsapparates. Die Demonstranten sind überzeugt, dass es von Iran kontrollierte Milizionäre waren, die in Bagdad und anderen Orten mit scharfer Munition auf die Protestierenden gefeuert haben. In der Nacht wurden in Kerbela drei und in Bagdad fünf Menschen getötet, am Montag vier weitere in Bagdad, wo es auch 50 Verletzte gab bei Zusammenstößen mit Sicherheitskräften. Die Zahl der Todesopfer der Proteste seit Anfang Oktober stieg so auf mehr als 260.

Im Irak hat sich zuletzt der wichtigste schiitische Geistliche, Großayatollah Ali al-Sistani, gegen Iran gestellt. Niemand dürfe dem irakischen Volk seinen Willen aufzwingen, hieß es in seiner Freitagspredigt. Er verlieh damit den Protesten neue Legitimität. Premier Mahdi hat seinen Rücktritt angeboten, falls die Parteien sich auf einen Nachfolger einigen können. Das allerdings ist kaum denkbar, wenn sich die mit Iran verbündeten Gruppen weigern.

Etliche von Iran kontrollierte Milizen haben im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat eine wichtige Rolle gespielt. Offiziell sind sie in den irakischen Sicherheitsapparat integriert und dem Premier unterstellt. De facto nehmen einige Gruppen ihre Befehle aber weiter von Soleimani entgegen. Zudem eröffneten einige Milizen "Wirtschaftsbüros" und verdrängen mit ihren Aktivitäten andere Akteure, obwohl ihnen im Haushalt 2,2 Milliarden Dollar zugesprochen wurden, ein Fünftel mehr als im Vorjahr und zweieinhalb Mal das Budget des Wasserministeriums.

Für Iran haben die Milizen und der Einfluss im Irak strategische Bedeutung. Zum einen fungieren sie als Gegengewicht zu den US-Truppen im Land und können diese bedrohen. Zum anderen sichern sie den Landweg nach Syrien und Libanon - Nachschubwege für die Revolutionsgarden in Syrien sowie für die Hisbollah. Sie kämpfen zudem im syrischen Bürgerkrieg. Auch in Libanon stellt sich Iran gegen die Demonstranten, die wie im Irak eine grundlegende Erneuerung des politischen Systems fordern. Iran lehnte den Rücktritt des sunnitischen Premiers Saad al-Hariri ab; Hisbollah kontrollierte zusammen mit ihren Bündnispartnern dessen Einheitsregierung weitgehend.

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