Regierungsbildung in Bagdad:Der Irak steht vor einer Zäsur

Lesezeit: 4 Min.

Wachmann Amin Laith vor der Filiale der sunnitischen Takaddum-Partei. Seit einem missglückten Bombenanschlag auf das Büro wird er bei seiner Arbeit von der Besatzung eines gepanzerten Armee-Humvees unterstützt. (Foto: Thore Schröder)

In Bagdad könnte erstmals seit 2003 eine Mehrheitsregierung an die Macht kommen, die nicht alle Machtblöcke repräsentiert. Das lässt Iran um seinen Einfluss fürchten.

Von Thore Schröder, Bagdad

Im Irak ist die Demokratie oft eine Fortsetzung des Bürgerkriegs mit anderen, nicht friedlichen Mitteln. Das zeigte sich in den vergangenen Wochen bei mehreren Anschlägen, die kurdischen Banken, sunnitischen Politikern oder Parteibüros galten. So auch am 14. Januar gegen halb zwei Uhr nachts, als zwei vermummte Männer auf einem Motorrad vor einer Filiale der sunnitischen Takaddum-Partei im Stadtteil Adamiyye vorfuhren und zwei Sprengsätze auf das Gelände warfen. Die kleinere Ladung riss einige Meter vor dem Haus ein Loch in den Asphalt. Bei der größeren Ladung versagte der Zünder.

Parteimitglieder fanden eine mit 250 Gramm C4 gefüllte Energydrinkdose vor der Tür. Da waren die Angreifer schon über eine nahe Tigrisbrücke gerast und im schiitischen Stadtteil al-Kadhimiyya verschwunden. "Wäre diese Bombe explodiert, hätte sie das Haus zum Einsturz bringen können", sagt Amin Laith, ein junger Wachmann der Partei, der bei seiner Arbeit nun von der Besatzung eines gepanzerten Armee-Humvees unterstützt wird.

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Der Anschlag passt in eine aufgeregte Zeit, in der Iran-nahe schiitische Kräfte um ihren Einfluss im Irak fürchten müssen. Umso mehr, seit der Takaddum-Vorsitzende Mohammed al-Halbousi am 9. Januar zum Parlamentspräsidenten gewählt wurde. Unterstützt wurde seine Kandidatur von einer sunnitischen Einheitsfront, dazu der kurdischen PDK und den Sadristen. Letztere haben bei den Parlamentswahlen im Oktober die meisten Sitze gewonnen; vor allem, weil sie unter den Bedingungen eines neuen Wahlrechts mit neu zugeschnittenen Bezirken am geschicktesten taktierten.

"Iran erteilt keine Befehle mehr wie früher"

Moktada al-Sadr, Namensgeber der Bewegung, die lange Iraks berüchtigtste Schiiten-Miliz war, will die Zahl seiner Sitze nutzen, um eine "Koalition der nationalen Mehrheit" zu bilden. Damit bräche er mit einem Grundprinzip der politischen Ordnung im Irak nach der Beseitigung Saddam Husseins: Seit 2003 waren stets alle wesentlichen Machtblöcke in der Regierung repräsentiert. Es wäre also eine Zäsur für das Land.

"Die Iraner waren überrascht, dass diese Koalition bei der Wahl von al-Halbousi gehalten hat", sagt Abbas al-Anbori, Direktor des Politik-Instituts Rewaq in Bagdad. Während al-Sadr stets seine Unabhängigkeit betont - seine Regierung dürfte "nicht westlich, nicht östlich" beeinflusst werden -, geraten die Parteien, die ihre Weisungen vom Mullah-Regime in Teheran empfangen, zunehmend unter Druck. Fatah etwa, die politische Repräsentanz der 2014 im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) aufgestellten Volksmobilmachungskräfte (PMF). Sie hatte sich bei der Wahl mit vielen konkurrierenden Kandidaten selbst geschwächt und im Vergleich zu 2018 31 Sitze verloren.

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Ahmed al-Assadi, einer der Führer Fatahs, der seine PMF-Flecktarnuniform vor fünf Jahren gegen einen blauen Nadelstreifenanzug eingetauscht hat, empfängt in seinem Wohnhaus kurz hinter der Zufahrt zur Green Zone, in Bagdads Hochsicherheitsgebiet. "Iran erteilt keine Befehle mehr wie früher", sagt der Sprecher seines Blocks. In einer Ecke des mit viel Gold ausgeschmückten Empfangsraums steht ein Bild von Qassim Soleimani und Abu Mahdi al-Muhandis. Der eine war Kommandeur der Quds-Einheit der iranischen Revolutionsgarden, der andere Führer der PMF. Vor zwei Jahren wurden sie von einer US-Drohne in Bagdad getötet und so für ihre Anhänger zu Märtyrern.

Ahmed al-Assadi, einer der Führer der Fatah im Irak, im Empfangsraum seines Hauses in Bagdad. (Foto: Thore Schröder)

Der Einfluss Teherans im Irak scheint sich seitdem tatsächlich gewandelt zu haben. Zum zweiten Mal binnen weniger Tage war Soleimanis Nachfolger Esmail Qaani in dieser Woche am Tigris, um zwischen den schiitischen Fraktionen zu vermitteln, bis dato vergeblich. Al-Sadr bleibt hart, er soll sogar ein Treffen mit Qaani mehrmals abgelehnt haben.

"Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, das Wahlergebnis anzuerkennen, haben wir akzeptiert, obwohl wir weiter von Fälschung ausgehen. Wir müssen den Irak schützen", gibt sich al-Assadi staatstragend. Doch weil sich die Demokratie in seinem Land noch "auf allen vieren" befinde, bedürfe es einer "erweiterten Mehrheit", so der Fatah-Mann: "Wir brauchen eine Regierung, die die Mehrheiten in der irakischen Bevölkerung widerspiegelt."

Tatsächlich wäre in der bisher angestrebten Koalition jene Konfessionsgruppe, der rund 70 Prozent der Iraker angehören, gegenüber Kurden und Sunniten in der Minderheit. Deshalb ist auch al-Sadr an einer Erweiterung seiner Regierung um weitere Abgeordnete interessiert. Ideal wäre für ihn, den anderen Block schiitischer Parteien und Listen, der sich "Koordinationsrahmen" nennt, zu spalten - und dabei seinen größten Feind weiter ins Abseits zu befördern.

Dabei handelt es sich um Nuri al-Maliki. Als Ministerpräsident hatte er einst al-Sadrs Mahdi-Armee energisch verfolgt und war später maßgeblich verantwortlich für das Erstarken des IS. "Maliki hat viel zu verlieren, nicht zuletzt ein Wirtschaftsimperium", sagt ein ausländischer Beobachter, "sollte er nicht in die Regierung kommen, könnte es ihm an den Kragen gehen, etwa durch eine Korruptionsanklage". Deshalb verhandele man nun in Bagdad vor allem über eine Lösung dieses Problems.

Es geht um Macht - und Pfründe

Denkbar sei, al-Maliki mit dem Amt des Vizepräsidenten abzuspeisen. Damit hätte er zwar faktisch keine Macht, genösse aber zumindest Immunität. Unklar bleibt, ob al-Sadr seine Nemesis so einfach davonkommen lässt. Am Ende dürften zumindest die Fatah-Kräfte in einen Kompromiss einwilligen, der ihre Pfründe sichert. "Für sie geht es um sehr viel", weiß der Analyst al-Anbori, "staatliche Bauprojekte, die Kontrolle der Grenzen, auch des Hafens in Basra, wo viel Geld zu verdienen ist. Das brauchen sie nicht zuletzt, um ihre Truppen zu versorgen."

Bis es zu einer Einigung kommt, sind weitere Anschläge zu befürchten. In der Nacht zu Mittwoch wurden drei Katjuscha-Raketen in Richtung des Wohnhauses von Parlamentspräsident al-Halbousi in der Stadt Al-Anbar gefeuert. Sie landeten in 500 Metern Entfernung, drei Kinder wurden verletzt. Beim Treffen in der Green Zone hatte Fatah-Mann al-Assadi zuvor noch gewarnt für den Fall, dass sie nicht beteiligt werden an der Regierung: "Wir werden uns mit allen legalen Mitteln zur Wehr setzen. Es gibt aber auch andere Kräfte, die dann vielleicht auf Gewalt setzen."

Bei den Raketen, die auf das Haus von al-Halbousi gefeuert wurden, handelte es sich übrigens um solche des Typs Fajr 1 - aus iranischer Fertigung.

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