Irak:Gezielter Angriff auf Demonstranten

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Nahe dem Tahrirplatz in Bagdad eröffnen Unbekannte plötzlich das Feuer auf ein Protestcamp. Am Ende sind 20 Menschen tot und Dutzende verletzt. Die Protestbewegung im Land sieht sich wieder gezielten Angriffen ausgesetzt.

Von Moritz Baumstieger, München

Die Männer fuhren mit Pick-up-Trucks und Minivans vor und eröffneten das Feuer. "Zahllose Schützen - wir haben keine Ahnung, wie sie durch Bagdad mit all seinen Checkpoints gekommen sein sollen, ohne aufgehalten zu werden", zitiert die Menschenrechtsorganisation Amnesty International einen Augenzeugen. Als die Angreifer in der Nacht auf Samstag nach ihrer Tat nahe des Tahrirplatzes flohen, waren 20 der dort ausharrenden Demonstranten durch ihre Kugeln zu Tode gekommen, mehr als 130 verletzt. Nach einer kurzen Zeit der Hoffnung sieht sich die Protestbewegung im Irak wieder gezielter Gewalt ausgesetzt.

Seit Premierminister Adil Abdel Mahdi am 29. November seinen Rücktritt eingereicht hat, war es relativ ruhig geblieben im Irak, wo seit Anfang Oktober Zehntausende gegen die Regierung demonstrieren. Immer wieder ist es seither zu Angriffen auf die Protestcamps in Bagdad, Basra und anderen Städten gekommen, nach Angaben der UN starben 460 Menschen, 20 000 wurden verletzt. Für einen Teil der Taten waren irakische Sicherheitskräfte verantwortlich, die etwa wiederholt Tränengaskartuschen auf Kopfhöhe verschossen und so Demonstranten lebensgefährlich verletzten. Immer wieder aber griffen auch nicht identifizierbare Kräfte die Demonstranten an - wie auch am Freitag, als Vermummte ein Protestcamp in Brand setzten und Unbekannte Demonstranten durch Messerstiche aus dem Schutz der Menge heraus verletzten.

In Nadschaf attackiert eine Drohne das Büro des bekannten schiitischen Klerikers al-Sadr

Irakische Behörden kündigten an, die Vorfälle zu untersuchen, nachdem die UN-Sonderbeauftragte für den Irak, Jeanine Hennis-Plasschaert, mangelende Aufklärung beklagt und von "maskierten Männern" und "nicht identifizierten Scharfschützen" bei Protesten gesprochen hatte. Einige Aktivisten werfen Iran vor, Gewalt zu schüren, um den Massendemonstrationen den Zulauf zu nehmen, durch die das Regime in Teheran seinen Einfluss im Nachbarland bedroht sieht. Eine der zentralen Forderungen selbst in schiitisch dominierten Städten ist ein Ende der Einmischung Irans, mehrfach wurden Konsulate der Islamischen Republik durch Demonstranten in Brand gesteckt.

In Nadschaf im Südirak kam es am Samstag zudem zu einem Anschlag: Eine mit Sprengstoff beladene Drohne und aus Autos feuernde Angreifer attackierten das Büro von Muktada al-Sadr, verletzten aber niemanden. Der einflussreiche schiitische Kleriker gibt sich als irakischer Nationalist und positionierte sich wiederholt gegen Iran, seine Partei stellt im Parlament die größte Fraktion. Ebenfalls in Nadschaf sprach sich Iraks höchster schiitscher Geistlicher, Ali al-Sistani, für die Bildung einer von ausländischen Kräften unabhängigen Regierung aus: Das neue Kabinett in Bagdad solle "nach den Wünschen des Volkes fern von äußerem Einfluss ausgewählt", werden, hieß es in seiner Freitagspredigt.

© SZ vom 09.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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