Irak:Durchs zerstörte Kurdistan

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Heiko Maas beim Besuch des Klosters Mor Mattai nahe Mossul. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Erschütternder Besuch im Flüchtlingscamp: Außenminister Heiko Maas erlebt im Irak viel Leid - aber auch Zeichen der Hoffnung.

Von Daniel Brössler, Hasan Scham

Ob sie nicht nach Hause wolle, wird Intisar vom Gast aus Deutschland gefragt. Natürlich, antwortet die 35-Jährige, aber sie habe kein Zuhause mehr. "Unser Haus in Mossul ist zerstört", erklärt sie Heiko Maas, dem Außenminister, der gekommen ist, um sich ein Bild von der Lage in dem nordirakischen Flüchtlingslager Hasan Scham zu machen. Und diese ist nicht gut, hört der Minister von allen, mit denen er hier spricht . "Unser größtes Problem ist das fehlende Geld", sagt Vian Raschid vom Krisenreaktionszentrum der kurdischen Regionalregierung. Wenn bis Ende des Jahres keine neuen Mittel kämen, gingen in Hasan Scham und zwei weiteren Lagern der Region die Lichter aus. Es fehle dann der Sprit für die Generatoren.

Intisar lebt mit ihrem Mann und acht Kindern im Alter von drei bis 16 Jahren schon seit zwei Jahren in dem 35 Kilometer von ihrer Heimatstadt Mossul entfernten Lager. 2016, nach Beginn der Offensive der Anti-IS-Koalition, ist die Familie hierher geflüchtet. "Mein Mann ist alt und krank. Um unser Haus wieder aufzubauen, fehlt uns das Geld", berichtet sie. Das Lager Hasan Scham liegt gleich hinter einem Dorf gleichen Namens, das nur noch aus Ruinen besteht. Mehr war nicht übrig, nachdem es die kurdische Peschmerga von der Terrormiliz "Islamischer Staat" zurückerobert hatte. Seit dem Sieg über den IS herrscht zwar Sicherheit, aber das Leben ist hart.

Die Sorge von Vian Raschid vom Krisenzentrum gilt derzeit vor allem den kalten Winternächten. 450 000 US-Dollar verschlinge der Treibstoff für die Generatoren der drei Lager der Gegend im Jahr. Geld, das die Regionalregierung im neuen Jahr nicht aufbringen könne. Für 16 000 Menschen könnte es ab 1. Januar dann keinen Strom, also auch keine Heizung mehr geben. Der deutsche Außenminister möge helfen, bittet Raschid. "Das ist in kalten Wintern eigentlich gar nicht vorstellbar", sagt Maas später zum drohenden Stromausfall. Ohnehin seien die Zelte "wirklich nur Behelfsunterkünfte. Dafür gibt es dieses Camp schon zu viele Jahre". Darüber werde man "zu reden haben". Anfang des Monats hat das Auswärtige Amt die Hilfe für die Internationale Organisation für Migration (IOM) bereits um 1,5 Millionen Euro für das kommende Jahr aufgestockt. Damit stehen für 2019 3,5 Millionen Euro zur Verfügung, um die Lage in den irakischen Lagern zu verbessern.

Drei Tage ist Maas durch den Irak gereist. Er will sehen, dass etwas vorangeht. Und er will in der Heimat darauf verweisen können, dass die humanitäre, wirtschaftliche, aber auch militärische Hilfe Früchte trägt. Sie tut es, findet Maas. "Das Land befindet sich an einer Weggabelung, an der sich entscheiden wird, ob es eine Zukunft mit Stabilität gibt oder ob es weiter Unruhen geben wird, ob es zurückgeworfen wird", sagt er. Tatsächlich hat sich die Sicherheitslage in weiten Teilen des Landes stark verbessert, nicht nur im kurdischen Norden, der letzten Station von Maas.

Der Besuch im Flüchtlingslager, den Maas "tief beeindruckend" nennt, zeigt aber auch, dass die humanitäre Krise noch lange nicht überwunden ist. Maas redet mit Frauen, die von IS-Kämpfern verschleppt, vergewaltigt und geschwängert wurden. Abtreiben durften sie nicht. Einige kehrten nach Mossul zurück, konnten dort aber mit ihren Kindern nicht leben. Nun sind sie wieder im Lager. Überhaupt halte sich die Zahl jener, die in ihre Heimatorte zurückkehren, und jener, die von dort enttäuscht wieder ins Camp kommen, derzeit etwa die Waage, sagen die Helfer. 1,8 Millionen Binnenvertriebene gibt es im Irak, die meisten im kurdischen Norden.

Am Ende seiner Reise besucht er noch einen fast unwirklichen Ort: Das Kloster Mor Mattai hoch auf dem Berg Alfaf soll seit dem Jahr 363 bestehen. Ohne die von Deutschland unterstützte Peschmerga wäre auch "dieser unglaubliche Ort der Barbarei zum Opfer gefallen", meint Maas. Nun sei Aussöhnung nötig. Und zwar - wenn er an die Erlebnisse der Frauen im Lager denke - in einem Maß, das "wahrscheinlich unser Vorstellungsvermögen komplett überfordert".

© SZ vom 20.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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