Irak:Der Feind meines Feindes ist mein Feind

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Ein Erfolg in Mossul könnte den zersplitterten Irak einen. Doch der Militärbund gegen den IS ist brüchig - ob die Regierung im Amt bleiben kann, ist selbst im Falle eines Sieges ungewiss.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Langsam rücken die von den Amerikanern ausgebildeten Eliteeinheiten der irakischen Armee von Süden auf Mossul vor. Sie treffen auf Widerstand, die Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat attackieren sie mit Selbstmord-Autobomben und Mörsergranaten. Und sie müssen auf die Peschmerga der kurdischen Regionalregierung warten. Der Schlachtplan sieht eine Arbeitsteilung vor; trotz unterschiedlicher politischen Loyalitäten sollen alle beteiligten Einheiten zusammen gegen den gemeinsamen Feind kämpfen.

Das könnte Hoffnung machen auf einen geeinten Irak, wenn die Dschihadisten erst einmal vertreiben sind aus der zweitgrößten Metropole des Landes. Aber am Mittwoch wurden schon die Bruchlinien in diesem Bündnis sichtbar.

Das Ringen um die Macht in Bagdad hat schon vor Monaten begonnen, zwei Minister stürzten

Die Volksmobilisierungseinheiten erklärten, sie würden nach Westen auf Tel Afar vorstoßen, um den IS-Kämpfern Versorgungs- und Rückzugswege nach Syrien abzuschneiden. Diese überwiegend schiitische Milizen kündigten aber auch an, "die Kräfte zu unterstützen, die in das Zentrum von Mossul vorstoßen" - mit dieser Aufgabe wollte Premier Haidar al-Abadi eigentlich exklusiv die Armee und die Anti-Terror-Einheiten der Bundespolizei betrauen. Die Schiiten-Milizen sind bei der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit in Mossul verhasst. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International beschuldigte sie in einem Bericht am Dienstag "schwerer Menschenrechtsverletzungen einschließlich Kriegsverbrechen an Zivilisten", die bei Befreiungen anderer irakischer Städte versucht hatten, vor dem IS und den Kämpfen zu fliehen. Die Vereinten Nationen berichteten im Juli von mehr als 600 sunnitischen Männern, die nach dem Sturm auf Falluja verschwunden seien, es soll Hinrichtungen und Folter gegeben haben.

Die irakischen Streitkräfte rücken unterstützt von US-Spezialkräften auf Mossul vor. (Foto: Bulent Kilic/AFP)

Den Entwicklungen auf dem Schlachtfeld liegt ein Ringen um die Macht in Bagdad zugrunde, das schon vor Monaten begonnen hat. Westliche Diplomaten halten es für nicht ausgeschlossen, dass der von ihnen geschätzte Premier Abadi zwar einen symbolisch und militärisch wichtigen Sieg über den IS in Mossul erreicht, aber es ihm womöglich nicht gelingen wird, seine Regierung zu stabilisieren und politisch zu überleben. Das Parlament hat einige seiner wichtigsten Kabinettsmitglieder per Misstrauensvotum aus dem Amt gejagt. Ende August traf es Verteidigungsminister Khaled al-Obeidi, den wichtigsten sunnitischen Verbündeten Abadis. Einen Monat später musste Finanzminister Hoschiar Zebari gehen, der prominenteste Kurde in der Regierungsmannschaft. Beiden warfen die Abgeordneten Korruption vor.

Die Gestürzten weisen das von sich und sehen sich als Opfer einer Intrige von Nuri al-Maliki, Abadis Vorgänger. Der war vor gut zwei Jahren widerwillig und auf Druck sowohl der Amerikaner, als auch der Iraner aus dem Amt geschieden. Noch immer kontrolliert er die größte schiitische Fraktion im Parlament. Außenminister Ibrahim Jaafari, ein Schiit, wurde Anfang Oktober ebenfalls zu einer Anhörung im Parlament einbestellt, der erste Schritt zu einem Misstrauensvotum. Abgeordnete aus Malikis Block lassen erkennen, dass auch dem Premier ein solches Verfahren drohen könnte.

Die ersten Zivilisten fliehen in die Gegenrichtung, um den Kämpfen gegen die Terrormiliz IS auszuweichen. (Foto: Ahmad Al-Rubaye/AFP)

Abadi hatte versucht, die Regierung effektiver zu machen und der ungezügelten Korruption Einhalt zu gebieten. Er bekam dafür zwar Unterstützung des wichtigsten schiitischen Geistlichen, Großayatollah Ali al-Sistani aus Nadschaf. Doch politische Hausmacht verschaffte ihm das Vorhaben nicht. Viele Politiker wollten ihr Pfründe nicht aufgeben, die ihnen zur Versorgung ihrer Stämme und Familien dienen. Abadi schaffte etwa die üppig ausgestatteten Posten der Vizepräsidenten ab, von denen einer Maliki war. Der ignorierte den Entschluss weitgehend und sah sich bestätigt, als nun das irakische Verfassungsgericht die Reform für rechtswidrig erklärte.

Verteidigungsminister Obeidi hat die marode Armee mit US-Hilfe wieder so weit aufgepäppelt, dass sie seit März 2015 keine Schlacht gegen den IS mehr verloren und 17 Städte zurückerobert hat. Er ließ Zehntausende Geistersoldaten von den Soldlisten streichen - Soldaten, die bezahlt wurden, aber nie bei ihren Einheiten auftauchten. Ein groß angelegtes Betrugssystem, das unter Maliki etabliert wurde, unter dessen Ägide die Armee zusammengebrochen und vor den anrückenden IS-Kämpfern geflohen war. Maliki war damals nicht nur Regierungschef, sonder auch amtierender Verteidigungsminister. Verbittert schrieb Obeidi auf Facebook: "Jene, die den Irak dahin gebracht haben, wo das Land heute ist, haben triumphiert. Ich habe alles versucht, um Korruption zu bekämpfen, aber es schient so zu sein, dass ihre Meister stärker sind, ihre Stimmen lauter." Jeder im Irak wusste, wer gemeint ist.

Maliki, der eng mit Iran verbandelt ist, hatte in den acht Jahren seiner Amtszeit maßgeblich dazu beigetragen, die Gräben zwischen den Konfessionen und Volksgruppen zu vertiefen. Er trieb die Sunniten dem IS in die Arme; manch einer sah in den Schergen des Kalifen anfänglich ein kleineres Übel als in der irakischen Armee. Maliki tat die Marginalisierung der Sunniten in einem Interview mit dem iranischen Fernsehen als "Rhetorik" ab und bezichtigte sunnitische Minister, tags für die Regierung zu arbeiten "und nachts Terroristen zu unterstützen". Er wolle, so vermuten westliche Diplomaten, zwar nicht unbedingt selber wieder Premier werden, aber eine ihm ergebene Regierung installieren. Kurdische und sunnitische Politiker befürchten, dass es dann zu neuen Auseinandersetzungen kommt - um Macht, Land und Öl. Und die könnten den Irak nach einem Sieg über den IS endgültig zerreißen.

© SZ vom 20.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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