Interview zum Referendum im Südsudan:"Endlich sind wir frei!"

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Die Menschen im Südsudan haben mit überwältigender Mehrheit für ihre Unabhängigkeit gestimmt. Einer, der sie auch in den Kriegsjahren begleitet hat, ist Bischof Paride Taban. Der Bischof im Interview mit sueddeutsche.de.

Julia Jendrsczok

Bischof Paride Taban wurde 1965 von Milizen aus dem Norden Sudans verfolgt. Manche christliche Intellektuelle konnten fliehen, viele wurden ermordet. Taban ist einer von drei Geistlichen, die die Verfolgung im heutigen Bundesstaat Äquatoria im Südsudan überlebt haben und dort geblieben sind. Die SPLA sperrte ihn zeitweise ein und drohte, ihn umzubringen. Trotzdem blieb er und engagiert sich bis heute für die Versöhnung der Religionen und Stämme ein. Der Bischof setzt große Hoffnungen in die Unabhängigkeit des Südsudan. Wie er das Referendum erlebt hat, schildert er in einem Gespräch mit sueddeutsche.de.

Bischof Paride Taban (links) freut sich über die Unabhängigkeit und feiert mit den Leuten aus seinem Dorf. (Foto: N/A)

sueddeutsche.de: Die Mehrheit der Bundesstaaten im Südsudan hat für die Unabhängigkeit gestimmt. Noch bevor die offiziellen Endergebnisse feststehen, zeichnet sich ab, dass der Südsudan unabhängig wird. Wie ist die Stimmung bei Ihnen?

Paride Taban: Die Menschen freuen sich, sie tanzen überall, auf den Straßen und in ihren Dörfern. Sie fühlen sich befreit und warten auf die Verkündung des offiziellen Endergebnisses. In unserem Bezirk haben 98 Prozent der Menschen für die Unabhängigkeit votiert. Jetzt sind sie voller Hoffnung. Das Ergebnis ermutigt sie, durchzuhalten, auch wenn in Zukunft vielleicht noch Schwierigkeiten auf sie zukommen könnten. Sie haben genug gelitten und werden keine weiteren bewaffneten Konflikte mehr akzeptieren.

sueddeutsche.de: Wie haben Sie das Referendum zur Unabhängigkeit erlebt?

Taban: Alles ist sehr friedlich hier. Die Menschen haben sich zu Tausenden auf den Weg gemacht, um wählen zu gehen. Sie sind froh, endlich selbst über ihre Zukunft entscheiden zu können, denn dazu hatten sie bisher keine Chance, weder während noch nach der englischen Kolonialzeit, noch in den Jahrzehnten des Bürgerkriegs. Jetzt ist der Zeitpunkt endlich gekommen und der Süden wartet auf die Unabhängigkeit.

sueddeutsche.de: Sie beschreiben die Situation als friedlich. Dabei sind mehrere Dutzend Zivilisten im Vorfeld des Referendums getötet worden.

Taban: Ja, es wurden Menschen an der Grenze zum Norden getötet, in der Gegend um Abiyei. Die Leute dort sind ungeduldig, weil sie wählen wollen. In der Grenzregion soll zu einem späteren Zeitpunkt abgestimmt werden, ob die Region zum Norden oder zum Süden gehören soll. Die Menschen dort denken, sie gehören zum Süden, und können nicht abwarten, bis ihre Zeit gekommen ist. Es ist sehr unglücklich, was dort passiert ist. Aber der Süden ist abgesehen von Abiyei friedlich.

sueddeutsche.de: Glauben Sie, dass aus dem Südsudan ein erfolgreicher neuer Staat werden kann?

Taban: Man muss dem Südsudan eine Chance und Zeit geben. Bei einem Baby stellt auch niemand die Frage: Wird dieses Baby nützlich sein? Wird es laufen können? Wird es fähig sein, sich selbst zu kleiden? Wir müssen dem neuen Staat dabei helfen, auf eigenen Beinen zu stehen. Wenn die internationale Gemeinschaft uns zu Hilfe kommt, und beim Aufbau des Landes unterstützt, wird der Südsudan Fortschritte machen. Es ist Zeit, Afrika eine Hand zu reichen und dem Baby zu helfen, damit es lernt zu laufen und zu rennen wie die anderen. Man sollte sich nicht auf die Schwächen konzentrieren, sondern die Menschen stärken.

sueddeutsche.de: Während des Bürgerkriegs kam es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Volksgruppen im Sudan. Sie haben in Kuron vor sechs Jahren ein Dorf aufgebaut, in dem Anhänger verschiedener Religionen und Stämme friedlich zusammenleben. Wie lässt sich das auf den gesamten Sudan übertragen?

Taban: Das Denken in Stammesstrukturen ist ein großes Problem. Hier im Friedensdorf Kuron versuchen wir deshalb, die Menschen zu einem Umdenken zu bewegen. Hier leben Angehörige verschiedener Stämme und Religionen friedlich zusammen. Früher waren sie Feinde, aber wir haben uns mit ihnen zusammengesetzt und zwischen ihnen vermittelt. Ein großes Problem ist zum Beispiel, dass sich rivalisierende Stämme gegenseitig das Vieh stehlen, und um Wasservorräte und Weideland konkurrieren. Es ist wichtig, die Entwicklung voranzutreiben, damit sich die verschiedenen Stämme als Angehörige einer Nation fühlen, anstatt in ihren Stammeskonflikten zu verharren. Hier in Kuron beginnen wir damit,. Hier teilen sich 3000 Sudanesen eine Schule und ein Krankenhaus und leben friedlich zusammen. Dazu kommen viele von außerhalb, um sich hier behandeln zu lassen. Das ist eine Besonderheit, denn viele vertrauten bislang nur der traditionellen Medizin und dem Schicksal. Die Idee für das Projekt habe ich in Israel bekommen, wo es einen Ort namens Neve Shalom gibt, in dem Juden, Muslime und Christen zusammenleben.

sueddeutsche.de: Was führt noch zu Konflikten im Sudan?

Taban: Papst Johannes Paul II. hat gesagt: Entwicklung heißt Frieden. Auch bei uns im Dorf sieht man das: Die Stämme waren verfeindet, auch weil der Südsudan so schlecht entwickelt ist und die Menschen Hunger haben. Deshalb haben wir eine Schule gebaut und eine Klinik und bringen den Sudanesen bei, wie sie höhere Erträge in der Landwirtschaft erzielen können um sich selbst zu versorgen. Die Menschen hier sagen, sie fühlen sich endlich wie menschliche Wesen.

sueddeutsche.de: Was müssen die nächsten Schritte sein, um den Frieden zu sichern?

Taban: Um den Frieden zu sichern, sind drei Dinge besonders wichtig: Die Menschen hier brauchen Bildung, denn fast 90 Prozent sind Analphabeten. Dafür hoffen wir auf internationale Hilfe. Darüber hinaus ist es wichtig, den Frieden zu sichern. Aus diesem Grund habe ich gemeinsam mit anderen Ban Ki Moon persönlich darum gebeten, dass die Vereinten Nationen Blauhelmen in die Grenzregion senden, um den Frieden zu sichern. Ein dritter Aspekt ist die Entwicklungshilfe. Sie ist im ganzen Land nötig. Wir fangen hier damit an, indem wir ein berufliches Ausbildungszentrum aufbauen, wo wir die jungen Menschen auf einen handwerklichen Beruf vorbereiten, um ihnen eine Perspektive zu geben. Um das zu verwirklichen, verhandeln wir zurzeit auch mit der deutschen Regierung.

sueddeutsche.de: Wovon träumen die Menschen in Ihrem Dorf und im Sudan?

Taban: Die einfachen Leute hier träumen davon, ihre Felder zu bewirtschaften, ihr Vieh hüten zu können, und dass niemand aus dem Norden kommt und sich in ihr Leben und ihre Kultur einmischt. Natürlich kann es nach einer Teilung des Landes zu Kämpfen um die politische Macht kommen. Aber die Menschen hier hoffen, dass sie in Frieden leben können.

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