Interview mit Hannelore Kraft:"Diese Dimension habe ich mir nicht vorstellen können"

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Hannelore Kraft soll die SPD in NRW an die Macht bringen. Ein Gespräch über die Ziele ihrer Partei und Rüttgers Sponsoring-Affäre.

Dirk Graalmann und Susanne Höll

Hannelore Kraft ist gerade die Hoffnungsträgerin der deutschen Sozialdemokratie. Die SPD-Landeschefin soll der Partei neuen Mut einflößen, am 9. Mai, wenn in Nordrhein-Westfalen gewählt wird und die SPD nicht nur den Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU) kippen, sondern zugleich auch die schwarz-gelbe Bundesratsmehrheit schleifen soll.

SZ: Der NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) steht seit Tagen wegen der Sponsoring-Affäre unter Druck. Die NRW-SPD hat Rüttgers zum Rücktritt aufgefordert. Ist das nicht ein bisschen überzogen?

Hannelore Kraft: Es muss solchen Entwicklungen Einhalt geboten werden. Wir haben die Mövenpick-Affäre, wo die Käuflichkeit der FDP im Raum steht und jetzt macht die NRW-CDU seit Jahren Angebote einen Ministerpräsidenten gegen Geld exklusiv zu mieten, um mit ihm vertrauliche Gespräche zu führen. Diese Dimension habe ich mir nicht vorstellen können.

SZ: Und die SPD schlägt daraus im NRW-Wahlkampf freudig Kapital.

Kraft: Der politische Schaden schlägt doch erfahrungsgemäß bei allen ein, weil die Bürger solche Vorgänge insgesamt nicht mehr verstehen. Darunter leiden alle, auch wir. Wir sind, das gehört zur Wahrheit dazu, alle nur Menschen, doch Politiker haben Vorbildfunktion.

SZ: Haben Sie mit ihrem Fraktionskollegen Edgar Moron, der für zwei Sitzungen im Beirat der Ruhrkohle AG insgesamt 22.500 Euro kassiert hat, in letzter Zeit auch über Vorbildfunktion gesprochen?

Kraft: Edgar Moron hat in der Fraktion erklärt, dass er das Geld gespendet hat. Er hat auch gesagt, dass es ein Fehler war, in den Beirat zu gehen.

SZ: Aber in 39 Jahren der SPD-Herrschaft hat es in NRW doch zweifelsohne Filz und Vetternwirtschaft gegeben.

Kraft: Dass es auch Verstrickungen gegeben hat, kann ich nicht widerlegen. Aber eines steht fest: Käuflich waren die SPD-Landesregierungen nicht. Mein Ziel ist es, Politik nah bei den Menschen zu machen. Deshalb gehe ich mit unseren Landtagskandidaten zum Beispiel jeweils einen ganzen Tag in Einrichtungen und Betriebe rein, um zu spüren, wo die wirklichen Probleme der Menschen liegen.

SZ: Ist diese so genannte "Initiative Tatkraft" aber nicht vor allem ein Eingeständnis, dass genau diese Erdung der SPD in den letzten Jahren gefehlt hat?

Kraft: Unsere Stärke war früher, die Kümmerer-Partei zu sein. In den Augen der Menschen hatten wir das ein Stück weit verloren, das stimmt. Aber das heißt ja nicht, dass wir alles falsch gemacht haben.

SZ: Aber die Agenda 2010 und die Hartz-Reformen sind weiter die offene Wunde der Partei. Ihr Konkurrent Jürgen Rüttgers fordert die Generalrevision, aber was will eigentlich die stellvertretende SPD-Chefin?

Kraft: Herr Rüttgers spricht von Generalrevision, sagt aber nicht, was er damit meint. Das macht er immer so. Er benutzt gerne Begriffe und Überschriften, die durch nichts unterlegt sind. Unser Ziel wird es sein, das Gerechtigkeitsproblem zu lösen, dass darin besteht, das derjenige, der lange gearbeitet hat, nach relativ kurzer Zeit mit demjenigen auf die gleiche Stufe fällt, der noch nie ein Schüppe in der Hand gehalten hat. Das ist der Kern des Problems.

SZ: Und die Lösung?

Kraft: Die Lösung ist nicht banal, denn man muss aufpassen, nicht neue Ungerechtigkeiten zu schaffen. Mir begegnen oft Leute, die sagen: Macht das einfach nach dem Prinzip 'Wer länger eingezahlt hat, kriegt auch länger Geld.' Aber so einfach ist das nicht, denn was ist zum Beispiel mit denjenigen, die unverschuldet immer wieder arbeitslos werden und damit keine lückenlose Beschäftigung vorweisen können. Ich zumindest möchte nicht, dass aus dem Ganzen ein Prinzip Sparkasse wird - wer viel einzahlt, bekommt auch viel zurück. Das entspricht nicht dem Solidarprinzip und birgt in den Händen der Marktliberalen hohe Risiken.

SZ: Was schlagen Sie vor?

Kraft: Wir arbeiten noch an unserem Konzept. Hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Ich werde dem nicht vorgreifen.

SZ: Rüttgers macht es genau andersrum. Er setzt seine Forderungen und Vorschläge gern öffentlich und begründet damit sein Image als soziales Gewissen der CDU.

Kraft: Das ist, mit Verlaub, Quatsch. Soziale Gerechtigkeit ist die Kernkompetenz der SPD, und die aktuellen Umfragen in NRW zeigen, dass die Leute das registrieren. Die Menschen merken, wenn jemand nur Politik mit Überschriften macht. Frau Merkel ist ja auch jemand, die Politik bevorzugt an der gerade geltenden Stimmungslage der konservativen Medien ausrichtet. Das ist nicht meine Art, Politik zu machen.

SZ: Aber in den Umfragewerten liegen Rüttgers wie Merkel dennoch vor der SPD.

Kraft: Wir liegen in NRW gerade einmal vier Punkte hinter der CDU (32 zu 36 Prozent; d. Red.), das sind zwei rauf, zwei runter. Das ist zu schaffen im Wahlkampf, und das werden wir schaffen. Der Ministerpräsident verliert doch stetig an Zustimmung, sein Versuch, soziale Kompetenz auszustrahlen, fruchtet nicht.

SZ: Aber Rüttgers ist präsent, bei der SPD dagegen vermisst man öffentlich immer noch ein klares Bekenntnis darüber, wie sie nun zur Agenda 2010 steht.

Kraft: Wir werden noch im März mit unseren Vorschlägen kommen zum Thema Hartz IV oder Rente mit 67. Ich war immer dagegen zu sagen: Wir hauen das jetzt alles in die Tonne und damit gewinnen wir Glaubwürdigkeit zurück. Das ist nicht der richtige Weg, wir müssen verantwortlich und detailliert neue Positionen erarbeiten.

SZ: Also keine Politik-Umkehr, sondern eher eine moderate Anpassung.

Kraft: Ich glaube nicht, dass es vom Wähler goutiert wird, wenn man sich zu 100 Prozent von dem verabschiedet, was man früher beschlossen hat. Aber aus Fehlern muss man lernen.

SZ: Der Abschied von Hartz IV gilt als Grundbedingung der Linken für eine etwaige Koalition. Wie halten Sie es denn nun mit der Linken?

Kraft: Ich stelle fest, dass von der Partei "Die Linke" programmatisch nichts kommt. Das ist eine Partei, die nur populistisch versucht, mit realitätsfernen Forderungen in der Bevölkerung zu punkten. Wenn wir einen Mindestlohn von zehn Euro fordern würden, würde die Linke zwölf Euro sagen. Das entlarvt sich doch von selbst.

SZ: Also keine Koalition - oder doch?

Kraft: Es gilt seit 2005 unser Dreiklang: Wir wollen stärkste Partei werden, wir wollen die Linkspartei aus dem Landtag halten und deshalb suchen wir die Auseinandersetzung, nicht die Zusammenarbeit.

SZ: Aber was passiert, wenn die Linke in den Landtag kommt und es rechnerisch eine rot-rot-grüne Mehrheit gäbe. Reden Sie dann mit der Linken - oder nicht?

Kraft: Dann also noch eine weitere Erklärung: Die Linkspartei ist in NRW weder regierungswillig noch regierungsfähig. Deshalb sind das theoretische Debatten, die ich nicht befeuern werde.

SZ: Wenn Sie die Debatte nicht befeuern wollen, dann beenden sie diese doch einfach mit dem Satz: Eine rot-rote Zusammenarbeit nach dem 9. Mai ist ausgeschlossen.

Kraft: Wir wollen eine rot-grüne Koalition. Das ist realistisch.

SZ: Aber bei Wahlen geht es doch um die Mehrheit, darum, wer am Ende mit wem regiert?

Kraft: Noch einmal mit anderen Worten: Koalitionen macht man nicht am Reißbrett. Da müssen Inhalte und Personen passen. Ich bin auf den ganzen Veranstaltungen meiner Tatkraft-Tour nicht ein einziges Mal nach Koalitionen gefragt worden. Wollen wir dennoch das halbe Interview über die Linkspartei reden?

SZ: Wird der 9. Mai eine Abstimmung über Schwarz-Gelb in Berlin - oder über die Landespolitik?

Kraft: Es wird eine Mischung sein. Ich glaube schon, dass die Bürger zum Beispiel auch über die verfehlte Bildungspolitik entscheiden werden.

SZ: Aber die schwarz-gelbe Koalition in Berlin ist für Ihren Landtagswahlkampf schon ein Geschenk.

Kraft: Natürlich hilft uns der Zustand der schwarz-gelben Koalition in Berlin. Vor allem werden jetzt die unterschiedlichen Positionen deutlicher. Die Unterschiede gab es vorher auch, aber in der großen Koalition kommt so etwas nicht so stark zum Tragen.

SZ: Und Sie können sich jetzt an Schwarz-Gelb in Berlin abarbeiten.

Kraft: Es war vorher nicht meine Art, öffentlich und populistisch Stimmung gegen die Bundesregierung zu machen und auch jetzt werden sie nicht erleben, dass ich Forderungen aus dem Wolkenkuckucksheim stelle. Ich werde weiterhin seriös Politik machen, was die Menschen in diesem Land vermisssen. Auf diese Wählerinnen und Wähler zähle ich .

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