Interview mit Garri Kasparow:"Wir wollen Putin und seine Gang aus dem Kreml werfen"

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Der Ex-Schach-Weltmeister Garri Kasparow will bei den Wahlen 2008 gegen Präsident Wladimir Putin antreten. Für das Projekt hat er sich schon einige Strategien zurecht gelegt

André Behr und Lars Reichardt

Vor zwei Jahren hat sich der Ex-Weltmeister Garri Kasparow aus dem Schach zurückgezogen. Seitdem engagiert er für die Oppositionsbewegung gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Ex-Schach-Weltmeister Garri Kasparow will bei den nächsten Wahlen gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin antreten (Foto: Foto: ap)

Und so geht es auch im Gespräch über sein neues Buch "Strategie und die Kunst zu leben" (Piper Verlag) nicht nur um das bessere Leben, sondern auch um die richtige Strategie gegen den übermächtigen Gegner im Kreml.

SZ: Letztes Jahr noch schien sich im Westen niemand so recht für russische Oppositionspolitiker zu interessieren. Heute werden Sie in die Talkshows von Reinhold Beckmann und Sabine Christiansen eingeladen. Was ist passiert?

Garri Kasparow: Vielleicht war ja der Mord an Anna Politkowskaja der Auslöser für eine etwas kritischere Sicht der Dinge. Bush kritisiert ja immer noch allenfalls den weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko und nicht Wladimir Putin.

Aber uns genügt es schon, wenn westliche Politiker und Medien Putins Regime nicht mehr als Musterdemokratie preisen und es damit geradezu ermutigen, gegen die Opposition vorzugehen. Denn je erfolgreicher wir sind, desto brutaler werden auch Putins Methoden ausfallen.

SZ: Wie geht es Ihrer Assistentin, die vor einem Jahr zusammengeschlagen wurde?

Kasparow: Es geht ihr wieder gut. Dieser Überfall sollte nur eine Warnung darstellen. Eine Warnung, die sie allerdings zwei Zähne kostete.

SZ: Verhaftet wurde bisher niemand?

Garri Kasparow: Wann wurde Anna Politkowskaja ermordet und haben Sie in diesem Fall schon von einer Verhaftung gehört? Die russischen Zustände sind nicht ganz so schlimm wie die in Weißrussland oder Simbabwe, aber doch beinahe.

Erst vor zehn Tagen wurde unsere vollkommen friedliche Demonstration in Sankt Petersburg gewaltsam aufgelöst. Haben Sie davon etwas gehört?

SZ: Doch, durchaus. Werden die Morde an Anna Politkowskaja und dem ehemaligen FSB-Spion Alexander Litwinenko aufgeklärt werden?

Garri Kasparow: Ich hoffe doch sehr, dass es uns gelingen wird, Putin und seine Gang aus dem Kreml zu werfen und dann herauszufinden, wer dahinter steckt. Aber die Verbrechen unter diesem Regime haben ja eine viel längere Geschichte: Wer hat in Beslan den Befehl zum Sturm der von Geiselnehmern besetzten Schule gegeben, dem Hunderte Kinder zum Opfer fielen?

Wer hat den Sturm des besetzten Moskauer Theaters befohlen? Wer hat 1999 schließlich die Sprengsätze in den Moskauer Wohnungen gelegt, die zum zweiten Krieg in Tschetschenien führten und letztlich auch Putin zum Wahlsieg verhalfen?

Sehen Sie: Zu Zeiten der Sowjetunion musste sich der KGB bei jeder größeren Aktion eine Genehmigung von oben einholen. Heute gibt es unter Putin verschiedene mächtige Interessensgruppen, von denen einige unabhängig arbeiten, teilweise auch gegeneinander. Ich habe keinen Zweifel, dass die Morde an Litwinenko und Politkowskaja mit den internen Machtkämpfen zusammenhängen.

Vielleicht wollte irgendjemand Putin auch nur kompromittieren. Putins Leute werden jedenfalls immer nervöser, je näher die Präsidentschaftswahlen 2008 rücken. Niemand weiß, wer Putin nachfolgen soll, und es gilt, mit der politischen Macht im Kreml auch jene riesigen Vermögen abzusichern, die Putins Machtklüngel in den letzten sieben Jahren seiner Regierung angehäuft haben.

SZ: In dieser Woche erscheint in Deutschland Ihr Buch ,,Strategie und die Kunst zu leben'', in dem Sie die Nützlichkeit von Schach-Strategien im Leben aufzeigen wollen. Ist der Politiker Kasparow genauso aggressiv wie der Schachspieler es war?

Garri Kasparow: Eine der Schlüsselideen meines Buchs lautet doch, dass es niemals nur eine einzelne Gewinnstrategie gibt. Man muss seine Strategie den jeweiligen Umständen anpassen. Ich spielte aggressiv, weil ich wusste, dass dies meinem Naturell am ehesten entsprach.

Aber in den Weltmeisterschaftskämpfen gegen Karpow musste ich lernen, ruhiger zu spielen, um zu überleben. Für die Opposition in Russland gilt heute das Gleiche: Wir müssen uns vorsichtig einigen und eine gemeinsame Plattform finden, um gegen einen beinahe übermächtigen Gegner zu überleben.

Und bei Verhandlungen darf man nicht aggressiv auftreten, sondern muss sich in Geduld üben. Ich musste auch lernen, ruhiger, charmanter, diplomatischer zu werden. Es ist wirklich wie im Schach: Man tut, was die Stellung erfordert.

SZ: Ihr Held im Schach war immer der wagemutige Alexander Aljechin, warum ist es Winston Churchill in der Politik?

Garri Kasparow: Aljechin war mein Held, als ich zehn Jahre alt war. Churchill ist es heute. Seine Kombination aus Leidenschaft und kaltblütiger Berechnung ist einmalig. Ich liebe sein großartiges Englisch und lese seine Bücher immer wieder. Er konnte eine Nation im Moment ihrer größten Bedrohung führen.

SZ: So wie Sie?

Garri Kasparow:Es ist vollkommen nebensächlich, wer als Kandidat der Opposition gegen Putin nächstes Jahr antreten wird. Ich habe eine Organisation gegründet, die Putins Regime demontieren will, allein darum geht es mir. Der beste Kandidat wird nächstes Jahr derjenige sein, der die Unterstützung von Liberalen, Linken und einigen Nationalisten bekommt.

Sollte ich das sein, gut, dann werde ich mich nicht drücken. Aber diese Entscheidung wird transparent getroffen werden. Und danach muss es uns noch gelingen, zu den Wahlen überhaupt zugelassen zu werden. Und wenn wir das überstehen, brauchen wir auch noch genügend Spendengeld für Wahlspots, bisher haben viele Geschäftsleute einfach zu viel Angst vor dem Kreml, um uns finanziell zu unterstützen.

SZ: In den achtziger Jahren haben Sie den Fall der Berliner Mauer und des Kommunismus vorausgesagt. Was wird 2008 in Russland passieren?

Garri Kasparow: Sehen Sie: In den achtziger Jahren fiel es mir leicht, eine solche Voraussage zu treffen. Ich kannte die Verhältnisse, aber meine Sicht auf die Dinge war frisch und ziemlich objektiv. Heute bin ich in die politischen Geschehnisse involviert.

Eines steht dennoch fest: Putin ist nervös. Er weiß, dass er Probleme bekommen wird, wann auch immer. Er hat ein korruptes Regime aufgebaut, und irgendwann wird das Volk ihn zur Verantwortung ziehen wollen. Spätestens, wenn der Ölpreis fällt und dem Staat wichtige Einnahmen fehlen werden.

SZ: Ihre Mutter hat gestern ihren 70. Geburtstag mit Ihnen gefeiert. Unterstützt sie Sie auch in der Politik?

Garri Kasparow:Absolut. Die wichtigsten Treffen finden in meinem Moskauer Haus statt. Sie schmeißt die Kantine zu Hause und führt damit mein Küchenkabinett. Ihr und meiner Frau Dascha kann ich vollkommen vertrauen.

SZ: Sie sind kürzlich zum dritten Mal Vater geworden. Warum hat Ihre Frau in New York entbunden?

Garri Kasparow: Wir besitzen in New Jersey ein kleines Appartement. Ich wollte jedenfalls nicht, dass Dascha in Moskau entbindet, weil ich sie in einem Krankenhaus dort nicht gut schützen kann. Jeder aus meiner Familie hat Bodyguards in Moskau: meine Mutter, mein Sohn Wadim aus zweiter Ehe, meine Frau, wenn sie da ist. Das Leben in Russland ist im Augenblick nicht gerade sicher.

© SZ vom 20.03.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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