Interview mit Frank-Walter Steinmeier:"Das war Mist"

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Noch 100 Tage bis zur Wahl: Kanzlerkandidat Steinmeier über die Niederlage der SPD bei der Europawahl, die Verdienste seiner Partei und mögliche Koalitionspartner.

Nico Fried und Susanne Höll

SZ: Herr Steinmeier, warum bedurfte es erst einer krachenden Wahlniederlage, damit Sie eine Rede halten, die zumindest die SPD begeistert?

Gibt sich kämpferisch: Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier. (Foto: Foto: ddp)

Frank-Walter Steinmeier: Sie können mir glauben, dass ich auf diese Niederlage bei den Europawahlen gern verzichtet hätte. Das war Mist. Umso wichtiger war der Parteitag. Für mich ging es darum, in dieser Situation meiner Partei Mut und Zuversicht zu geben und einen kraftvollen Neustart hinzubekommen. Ich denke, das ist gelungen, und das freut mich.

SZ: Was war der Grund für das Debakel bei der Europawahl?

Steinmeier: Wir haben es nicht geschafft, gerade unserer Wählerklientel die Bedeutung Europas für jeden Einzelnen deutlich zu machen. Da gibt es nichts zu beschönigen.

SZ: Ist nicht die ehemals klassische Klientel der SPD mittlerweile so heterogen, dass man von einem sozialdemokratischen Milieu nicht mehr reden kann?

Steinmeier: Diese Tendenz einer Individualisierung und der Auflösung traditioneller Milieus ist nicht neu und gilt nicht nur für die SPD. Ich bin trotzdem und gerade deshalb ein Anhänger der Volkspartei, weil sie integriert, wo sonst nur noch Einzelinteressen und Klientelpolitik konkurrieren würden. Deshalb plädiere ich auch dafür, die SPD als Partei der linken Mitte zu positionieren und ein breites Politikangebot für die ganze Gesellschaft zu machen.

SZ: Nennen Sie uns mal eine Stelle im Regierungsprogramm, wo Sie der Mitte etwas anbieten?

Steinmeier: Nennen Sie mir mal eine Stelle, wo wir das nicht tun. Die Mitte, das sind für mich Normalverdiener, aber auch junge Unternehmer, Künstler, Kreative, Wissenschaftler. Sie alle haben etwas davon, wenn wir mehr für Bildung tun und dafür auch mehr Geld in die Hand nehmen. Davon profitieren ihre Kinder in der Schule oder an der Uni, auch die Unternehmer, die gut ausgebildete Arbeitskräfte bekommen, und die Forscher in jungen Unternehmen, die eine bessere Förderung bekommen sollen.

SZ: Die Union bietet der Mitte Steuersenkungen an. Klingt attraktiv, oder?

Steinmeier: Der Streit um Steuersenkungen dauert in der Union schon so lange, dass sie fast zu nichts anderem gekommen sind. Jetzt gibt es angeblich eine Einigung, aber sie haben sich nicht einmal festgelegt, wann sie Steuern senken wollen. Kein Wunder: Laut Schätzung haben wir in den nächsten vier Jahren bis zu 320 Milliarden Euro an Steuerausfällen zu verkraften. Was die Union macht, ist unglaubwürdiger Hokuspokus.

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SZ: Können Sie umgekehrt für die SPD zusagen, dass die hohe Verschuldung der öffentlichen Kassen nicht zu Steuer- oder Abgabenerhöhungen führt?

Steinmeier: Ja. Wir machen, was im Regierungsprogramm steht: Entlastung aller Steuerzahler beim Eingangssteuersatz. Top-Verdienern, etwa 1,5 Prozent der Steuerzahler, wollen wir etwas mehr für bessere Bildung abverlangen. Und die Börsenumsatzsteuer.

SZ: In Ihrer Rede haben Sie über Koalitionen nicht gesprochen. Warum?

Steinmeier: Am 27. September stehen Parteien zur Wahl, nicht Koalitionen. Ich kämpfe für eine starke SPD. Eine starke SPD in der Bundesregierung ist der einzige Garant dafür, dass unser Land nach sozialdemokratischen Ideen gestaltet wird.

SZ: Auch wenn Sie nicht darüber reden, sind Union und FDP potentielle Koalitionspartner. Wie können Sie die einerseits bekämpfen und andererseits die jeweiligen Machtoptionen offen lassen?

Steinmeier: Nicht wir haben einen Lager-Wahlkampf ausgerufen, sondern Union und FDP mit dem unsinnigen Gerede von einer bürgerlichen Mehrheit. Ich sage: Lager-Wahlkampf ist falsch, aber Streit über die Richtung muss sein.

SZ: Erklären Sie uns den Unterschied?

Steinmeier: Wir müssen klarmachen, dass die CDU, wenn sie könnte, wieder zum Leipziger Parteitag und ihrem marktradikalen Programm zurückkehren würde. Es ist die SPD in der großen Koalition und es sind unsere Minister im Kabinett, die jetzt dafür sorgen, dass der Zug in die richtige Richtung fährt, dass der Sozialstaat intakt und das Primat der Politik erhalten bleibt.

SZ: Sie meinen, Frau Merkel hat aus ihrem Wahlergebnis 2005 nichts gelernt?

Steinmeier: Glauben Sie, dass Frau Merkel die weitgehend sozialdemokratische Politik der großen Koalition in einer schwarz-gelben Koalition fortsetzen will? Das ist doch nicht logisch. Und wenn doch: Dann wäre Frau Merkel allein zu Haus. Schauen Sie in die Unions-Fraktion: Seit Monaten geht denen die Linie unserer Politik gegen den Strich. Die Mehrheit der Unions-Abgeordneten will endlich wieder die reine Wirtschaftslehre, wie die CDU sie beim Leipziger Parteitag beschlossen hat.

SZ: Was macht Sie so sicher, dass den Menschen Schwarz-Gelb Angst einflößt?

Steinmeier: 1998 wurde Schwarz-Gelb abgewählt. Danach haben Union und FDP zweimal versucht, gemeinsam zu gewinnen und jedes Mal verloren. Am 27. September werden die Leute sich bewusst machen, dass diejenigen, die am ehesten für marktradikale Prinzipien stehen, mit denen wir in die Krise geraten sind, nicht diejenigen sein können, die uns aus der Krise herausführen.

SZ: Sie machen eine Ideologie für die Krise verantwortlich, obwohl die SPD elf Jahre lang in Deutschland regiert hat.

Steinmeier: Die SPD kann die Welt nicht allein aus den Angeln heben. Wir, die rot-grüne Regierung, wurden 2005 auf dem G8-Gipfel in Gleneagles verspottet für unsere Forderung nach einer Kontrolle der Finanzmärkte. Es herrschte nun einmal die globale Vorstellung eines angloamerikanischen Wirtschaftssystems, auch hierzulande hatte diese Lehre viele Anhänger. Und trotzdem ist die SPD in der Regierung in diesen elf Jahren entscheidende Irrwege nicht mitgegangen.

SZ: Zum Beispiel?

Steinmeier: Ich denke an die Privatisierung der Renten- oder der Krankenversicherung. Das ist doch hier mit einer Euphorie diskutiert worden, an die sich plötzlich keiner mehr erinnern will.

SZ: Trotzdem sind doch nicht Merkel und Westerwelle Urheber dieser Krise?

Steinmeier: Das ist doch auch nicht der Kern des Arguments. Es geht darum, dass in einer schwarz-gelben Koalition jene Kräfte die Politik prägen, die sich am stärksten wirtschaftsliberalen und marktradikalen Prinzipien zuordnen. Das ist doch nicht von der Hand zu weisen. Ich glaube, das würden die beiden von Ihnen Genannten nicht einmal bestreiten.

SZ: Linke Kritiker sagen, auch die SPD habe sich in ihrer Regierungszeit dem Mainstream unterworfen.

Steinmeier: Moment mal, ich leide nicht an Gedächtnisschwund. Union und FDP haben uns, damals in der Opposition, beschimpft für unsere Reformpolitik, weil sie angeblich nicht radikal genug war. Wir sind beschimpft worden, weil wir den Kündigungsschutz, die Mitbestimmung und Flächentarifverträge erhalten haben. Weil wir uns für den Erhalt des Sparkassensystems eingesetzt haben, als manche meinten, es gebe zu viele Banken in Deutschland. Wir sind beschimpft worden, weil wir uns völliger Deregulierung verweigert haben.

SZ: Sie haben doch auch dereguliert.

Steinmeier: Wir sind doch lange Jahre gerade dafür kritisiert worden, dass wir uns nicht vollständig der angloamerikanischen Wirtschaftsphilosophie unterworfen haben. Viele Unternehmen haben damit gedroht, ihren Hauptsitz in die USA zu verlegen, wenn wir zum Beispiel nicht die amerikanischen Bilanzregeln übernehmen. Als Exportweltmeister lebt man halt auf keiner Insel.

SZ: Und warum honorieren das die Wähler nicht?

Steinmeier: Das werden sie, wenn es uns gelingt, bis zur Bundestagswahl diese verlässliche, erfolgreiche Arbeit und unseren Anteil an der Bekämpfung der Krise deutlich herauszustellen. Das kommunale Investitionsprogramm für Schulen und Kindergärten ist doch nicht vom Himmel gefallen. Das haben wir erfunden. Auch die Abwrackprämie haben wir vorgeschlagen, die Arbeit sichert und klimaschonende Kleinwagen auf die Straße bringt. Als Peer Steinbrück und ich Ideen zur Regelung der Finanzmärkte präsentiert haben, hat die andere Seite mit schlechter Laune reagiert. Vieles davon ist jetzt Gesetz oder Teil der deutschen Vorschläge für die internationalen Beratungen. Und viele Menschen sind heute nicht arbeitslos, weil wir die Verlängerung der Kurzarbeit vorgeschlagen haben. Mir ist von der anderen Seite kein solcher Vorschlag in Erinnerung.

SZ: Wie scharf werden Sie die Person Merkel angehen?

Steinmeier: Wir werden uns profilieren, aber nicht zerfleischen.

SZ: Können Sie sich Guido Westerwelle als Außenminister vorstellen?

Steinmeier: Das muss ich nicht, weil wir das Fell des Bären erst verteilen, wenn er erlegt ist. Ich registriere, dass Herr Westerwelle außenpolitische Grundsatzreden hält, in denen er den amtierenden Minister lobt. Dagegen wehre ich mich nicht.

© SZ vom 17.06.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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