Internet:Polizei schnappt Darknet-Größe

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Am Donnerstag fasste das BKA den mutmaßlichen Administrator einer Webseite, einen 30-Jährigen, der in der anonymen Welt des Darknets als "Lucky" bekannt ist. (Foto: Silas Stein/dpa)
  • Das BKA hat den mutmaßlichen Betreiber einer Darknet-Plattform in Karlsruhe festgenommen.
  • Der 30-Jährige soll seit 2013 alleiniger Administrator der Seite gewesen sein, über die zahlreiche illegale Geschäfte mit Drogen und Waffen abgewickelt wurden.
  • Den Behörden zufolge soll über die Plattform auch die bei dem Amoklauf in München im Juli 2016 eingesetzte Waffe verkauft worden sein.

Von Ronen Steinke, München

Am Sonntag vor einer Woche, 19.01 Uhr, schrieb "MoneyFirst" auf die Online-Pinnwand: "Bin seit 30 Jahren Berufskrimineller (überwiegend Betrug, Urkundenfälschung, Unterschlagung), nie verurteilt worden, trotz mehrerer Verhaftungen. Plane mein letztes Ding, sehr profitabel. .... Kann es nicht alleine ausführen und suche einen Partner."

Die erste Antwort kam schnell, schon um 19.06 Uhr schrieb "Panzerknacker": "Vielleicht solltest du etwas zu den skillz sagen, die Dein partner in crime mitbringen sollte..." So ging es den Abend über hin und her, stets in höflichem Ton, es beteiligten sich noch einige Stimmen mehr. Aber was am Ende herauskam, wissen nur die unmittelbar Beteiligten. Sobald echte Namen oder Handynummern ins Spiel kommen, wechseln selbst im Darknet alle zu persönlichen Messenger-Nachrichten. Unter vier Augen, streng verschlüsselt.

Im selben Forum, nur wenige Klicks weiter: "Mit einem ausgesprochen intensiven Duft nach süßer Minze, gepaart mit einem schokoladigen Geschmack ist diese Sorte ein wahrer Gaumenschmaus", so warb ein deutscher Online-Drogenhändler, "Balus Urwald-Shop", für eine neue Cannabis-Sorte. Gleich nebenan bei "Mr Snickers Haschladen" ging es um LSD. Bezahlung per Bitcoin, Versand an Packstationen. Willkommen auf der größten deutschsprachigen Darknet-Plattform - in jenem Teil des Internets also, in dem IP-Adressen unkenntlich gemacht und Datenspuren automatisch zerhäckselt werden.

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Registrierte Nutzer konnten hier mit Waffen, Drogen und Falschgeld handeln

Wer hier hinein will, muss den Weg über einen sogenannten Tor-Server gehen, eine Technik, die völlig anonymes Surfen ermöglicht. "Deutschland im Deep Web": Bis zum vergangenen Freitag konnte jeder die Webseite dieses Namens aufsuchen, es genügten einfache Programme, die kostenlos zum Download bereitstehen, um den Weg ins Tor-Netz zu eröffnen. Das Layout der Seite war aufgeräumt, hell und freundlich, die Käufer hinterließen Feedback-Sternchen wie bei Ebay. Hier hatte im vergangenen Jahr der Münchner Amokläufer, der neun Menschen tötete, den Kauf seiner Pistole angebahnt. Noch 20 000 weitere, anonym registrierte Nutzer konnten hier mit Waffen, Drogen, ausgespähten Kreditkartendaten oder Falschgeld handeln.

Am Donnerstagabend stürmten Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) und Spezialkräfte der Bundespolizei eine Wohnung in Karlsruhe. Wie erst am Montag bekannt wurde, fassten sie den mutmaßlichen Administrator der Webseite, einen 30-Jährigen, der in der anonymen Welt des Darknets als "Lucky" bekannt ist. Er soll die Seite seit März 2013 betrieben haben. Es ist das erste Mal, dass deutschen Ermittlern ein solcher Schlag gelungen ist.

Bisher waren sie meist Zuschauer. Das Problem ist vertrackt: Am Tor-Netz ist nichts illegal. Es ist ein Teil des Internets, in dem alle Domains auf .onion enden, es wird auch von vielen Idealisten betrieben, denn in Teilen der Welt ist die Möglichkeit, hierüber anonym zu kommunizieren, für Oppositionelle lebenswichtig. Die Verschlüsselung ist so gut, dass Ermittler machtlos sind. Die Verfolger des mutmaßlichen deutschen Darknet-Paten Lucky sitzen unter den Dachschrägen des Gießener Amtsgerichts: Die Staatsanwälte Andreas May und Georg Ungefuk gehören zur Zentralstelle Internetkriminalität (ZIT) in Hessen. "Technisch ist in Tor-Netzen für Strafverfolger nichts zu machen", sagt May. "Wir sehen Nicknames", also Online-Spitznamen, "wir sehen dreckige Geschäfte, aber wir sehen nie echte Namen." In den USA mögen Ermittler teils über schärfere technische Mittel verfügen, über Hackertricks. "Für uns geht da nichts."

Auch jetzt, bei der Suche nach Lucky, sei es nicht gelungen, Codes zu knacken. Es sei ein "Puzzle an Ermittlungsansätzen" gewesen, sagt Staatsanwalt Ungefuk. Mehrere Monate lang war man an Luckys Spur dran, in der vergangenen Woche dann hatten sich die Hinweise verdichtet, ein Haftbefehl wurde möglich. Der Verdächtige sei "sehr IT-affin", sagt Ungefuk, was sich freilich von selbst versteht bei einem, der ein Darknet-Forum alleine aufgezogen haben soll. Meist werden die größeren Marktplätze von Gruppen administriert.

Als die hessischen Ermittler der ZIT vor etwa drei Jahren anfingen, sich im Darknet umzusehen, kauften sie zunächst selbst Waffen und Drogen an. "Anfangs waren viele Dealer blauäugig", sagt Staatsanwalt May. Einige hinterließen ihre Fingerabdrücke auf den versandten Paketen. "Einige haben sich zur Übergabe teils persönlich mit den Käufern getroffen - also mit uns." Einigen machte man dann ein Angebot. Strafrabatt - wenn sie im Gegenzug den Ermittlern ermöglichten, unter ihrem Dealer-Nicknamen weiter zu handeln. Vielleicht 50 Verdächtige haben die ZIT-Ermittler so am Ende stellen können; immer noch eine sehr niedrige Zahl.

Ob Lucky, in dessen Wohnung ein paar Computer und geringe Mengen Drogen sichergestellt wurden, reich geworden ist? Selbst gedealt hat er wohl nicht. Bezahlte Werbebanner gab es auf seiner Plattform auch nicht. Möglich aber, dass er sich als sogenannter Treuhänder betätigte. Dies sind erfahrene Nutzer, denen im Darknet Vertrauen entgegengebracht wird. Ein recht bekannter Treuhänder etwa nennt sich "Zombieholocaust". Das Prinzip funktioniert so: Der Käufer überweist sein Geld per Bitcoin zunächst nur an einen Treuhänder. Erst wenn der das Signal bekommt, dass die Ware da ist, leitet er das Geld weiter. Dafür streicht er eine Gebühr ein.

In Karlsruhe ist nun jedenfalls Schluss damit. Den Ermittlern gelang es, auch den Server, über den der Verdächtige mutmaßlich die Plattform "Deutschland im Deep Web" betrieb, zu lokalisieren und zu beschlagnahmen. Am Montag waren die Waffenbörse wie auch "Mr Snickers Haschladen" geschlossen, stattdessen informierte ein Banner, dass diese Seite vom BKA gesperrt sei.

© SZ vom 13.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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