Insolvente Fluglinie:Begehrte Reste

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Lufthansa möchte möglichst viel von Air Berlin übernehmen. Höhere Ticketpreise sind nicht zu erwarten, denn das Aus von Air Berlin ist eine Chance für andere Mitbewerber.

Von Jens Flottau und Alexander Mühlauer

Nach ihrem Insolvenzantrag steht Deutschlands ehemals zweitgrößte Fluggesellschaft Air Berlin vor der Zerschlagung und die Branche sowie ihre Mitarbeiter vor tief greifenden Veränderungen. Teile der Air-Berlin-Flotte und ein großer Teil der Mitarbeiter könnten beim Lufthansa-Ableger Eurowings und der britischen Billigfluggesellschaft Easyjet landen. Doch wie viele dies sein werden, wie alles ablaufen soll und welche Folgen die Pleite für Kunden, Mitarbeiter und Konkurrenten hat, ist noch weitgehend unklar.

Dies ist die Ausgangslage: Air Berlin betreibt derzeit eine Flotte von rund 140 Flugzeugen. 38 davon und die dazugehörigen Besatzungen fliegen bereits seit Februar für die Lufthansa. Es bleibt damit noch eine Flotte von rund 100 Maschinen bei Air Berlin und ihrer österreichischen Tochter Niki, die nun neu verteilt werden sollen. Branchenkenner gehen davon aus, dass nicht alle dauerhaft unterkommen werden, sondern auf längere Sicht rund 30 Flugzeuge weniger als bisher den deutschen Flugmarkt bedienen werden.

Air Berlin wollte den Hauptstadt-Flughafen zu einem Drehkreuz ausbauen. Das hat sich nun erledigt. (Foto: imago/Lichtgut)

Rechtlich ist die Übernahme kompliziert. Denn Lufthansa hat kein Interesse daran, Unternehmensteile von Air Berlin zu kaufen. Stattdessen kauft sie allenfalls Flugzeuge, aber nicht von Air Berlin, sondern von den Leasinggesellschaften, denen diese gehören. Den Mitarbeitern sollen neue Arbeitsverträge angeboten werden, voraussichtlich in der Billigsparte Eurowings. Die Start- und Landezeiten (Slots) an den Flughäfen gehören ebenfalls nicht Air Berlin. Wenn die Airline aufhört zu fliegen, gehen diese an überlasteten Airports wie Berlin oder Düsseldorf in den Pool des sogenannten Flugplankoordinators und werden von dort aus nach einem bestimmten Schlüssel an neue Bewerber verteilt.

Brüssel könnte den Deal verhindern, doch bisher sendet es eher wohlwollende Töne

Es gilt als ausgemachte Sache, dass die 38 Air-Berlin-Jets, die schon für Eurowings fliegen, mitsamt Besatzungen in irgendeiner Form von Lufthansa übernommen werden. Lufthansa werde, sagt ein Insider, für so viele zusätzliche der 100 übrigen Maschinen bieten, wie sie bekommen kann. Die Menge hängt nicht nur von den Verhandlungen zwischen den verschiedenen Unternehmen ab, sondern auch von den Wettbewerbsbehörden. Die wenigsten rechnen allerdings damit, dass das Bundeskartellamt massiv interveniert. Wie schon bei dem Mietgeschäft dürfte sich die Behörde auf den Standpunkt stellen, dass ja keine Unternehmensteile, sondern nur Flugzeuge und Mitarbeiter übernommen werden. In Branchenkreisen ist zu hören, dass Lufthansa bis zu 80 zusätzliche Jets für genehmigungsfähig hält, für Easyjet würden dann noch rund 20 bleiben, womöglich werden es am Ende aber weniger für Lufthansa und mehr für die Billig-Airline.

Auch in Brüssel prüft die EU-Kommission den Fall Air Berlin. Der Billigflieger Ryanair hat bei der Kartellbehörde eine Beschwerde eingelegt. Die Iren sprechen von einem "Komplott" zwischen der Bundesregierung und deutschen Fluggesellschaften. Der Insolvenzantrag sei mit dem Ziel arrangiert worden, dass die Lufthansa eine schuldenfreie Air Berlin übernehmen könne, lautet der Vorwurf von Ryanair. Dies verstoße gegen deutsche und europäische Wettbewerbsregeln. Die ansonsten recht politische EU-Kommission ist in diesen Fragen stets um Sachlichkeit bemüht. Auch was Staatsbeihilfen betrifft. Verzerren diese den Wettbewerb in Europa, sind sie verboten. 150 Millionen Euro hat der Bund Air Berlin nun als Überbrückungskredit genehmigt. Man stehe dazu im "konstruktiven Dialog" mit Deutschland, heißt es in Brüssel. Die Kommission sei zuversichtlich, eine Lösung im Rahmen des EU-Rechts zu finden. In Berlin dürfte man das gerne hören, schließlich hat man das schon bei der europarechtlich ziemlich umstrittenen Pkw-Maut hinbekommen.

Easyjet wäre ein stärkerer Konkurrent für Lufthansa als Air Berlin

Lufthansa hat jedenfalls Interesse daran, Eurowings schnell zu vergrößern. Schon jetzt ist die Airline nach Ryanair und Easyjet der drittgrößte Billig-Anbieter in Europa. Lufthansa und Eurowings haben es vor allem auf die Standorte Düsseldorf und Berlin abgesehen. In Düsseldorf betreibt Air Berlin ein relativ dichtes Langstreckennetz nach Nordamerika und in die Karibik, die Flüge könnten künftig unter der Marke Eurowings fortgeführt werden. Damit hätte der Lufthansa-Konzern neben Frankfurt, München, Wien, Zürich und Brüssel einen weiteren Standort für Langstreckenflüge geschaffen. Easyjet hingegen ist nur an europäischen Verbindungen interessiert, hat sich bislang aber in Deutschland schwergetan, auch wegen Air Berlin. Die Basis in Hamburg will Easyjet sogar wieder aufgeben.

Die meisten der etwa 8500 Air-Berlin-Mitarbeiter können zwar damit rechnen, dass sie auch künftig einen Arbeitsplatz haben, aber auf sie dürften erhebliche Gehaltseinbußen zukommen, denn sowohl Lufthansa-Tochter Eurowings als auch Easyjet zahlen teilweise deutlich weniger als Air Berlin. In einem internen Schreiben an die Mitarbeiter heißt es, alle Beteiligten arbeiteten "mit Hochdruck an einer Lösung, um unseren Flugbetrieb in einen sicheren Hafen zu führen. Unser Ziel ist es, möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern". Für die nächsten drei Monate übernimmt die Bundesagentur für Arbeit Gehälter bis zu einer Höhe von 6350 Euro. Bei höheren Gehältern etwa von Piloten will Air Berlin die Differenz übernehmen, allerdings müssen der Idee noch der Gläubigerausschuss und der neue Generalbevollmächtigte Frank Kebekus zustimmen, der das sogenannte Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung überwacht.

Was bedeutet all dies für die Ticketpreise? Branchenexperten halten es für unwahrscheinlich, dass ein Verschwinden von Air Berlin generell zu höheren Preisen führt. Nachdem Air Berlin in den vergangenen Jahren die Kapazität deutlich verringert hat, gibt es sowieso nur eine überschaubare Zahl von Strecken, auf denen sie mit Lufthansa oder Eurowings direkt konkurriert; auf diesen könnten Tickets nun kurzfristig mehr kosten. Allerdings bedeutet der Wegfall der offensichtlichen Überkapazitäten bei Air Berlin auch eine Chance für andere, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen - etwa für Easyjet. Die finanzstarken Briten dürften für Lufthansa ein deutlich unangenehmerer Konkurrent werden als die schwache Air Berlin.

© SZ vom 17.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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