Indien:"Hexenjagd" gegen Amnesty International

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Nach kritischen Berichten friert die Regierung die Konten der Organisation ein - nun muss sie vorerst schließen.

Von Arne Perras

Es geschieht nicht zum ersten Mal, dass die Menschenrechtler von Amnesty International (AI) in Indien unter Druck geraten, doch dieses Mal trifft es sie weit härter als zuvor. AI India muss zumachen, vorerst zumindest, wie die renommierte Organisation mit Blick auf ihre Abteilung auf dem Subkontinent mitteilte.

Der indische Staat hat die Konten von Amnesty International India eingefroren, was eine weitere Arbeit dort unmöglich macht. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf das äußerst angespannte Verhältnis zwischen der lebendigen und oft unbequemen Zivilgesellschaft Indiens und dem Staat, dessen Zentralregierung seit 2014 von Kräften der Hindunationalisten unter Führung von Premier Narendra Modi gelenkt wird. Seine Partei BJP steht auch an der Spitze zahlreicher Bundesstaaten. Die BJP beherrscht die politische Arena, seitdem die zuvor dominierende säkulare Kongresspartei des Nehru-Gandhi-Clans von den Wählern abgestraft wurde.

Amnesty beklagt eine "unablässige Hexenjagd", Generalsekretärin Julie Verhaar sprach von einem "ungeheuerlichen und beschämenden Akt" durch die indische Regierung. Am 10. September hatte der indische Staat nach Angaben von AI alle Konten der Abteilung eingefroren. Er zwingt die Organisation damit, ihre Recherchen und Kampagnen in Indien vorerst zu pausieren. Über die mutmaßlichen Verfehlungen, die AI in Indien angelastet werden, wurde bisher wenig Konkretes bekannt, wie der Indian Express schrieb. Die Regierung reagierte zunächst nicht auf die Erklärung von AI. Das unabhängige Online-Portal The Wire berichtet, dass die Abteilung für Wirtschaftskriminalität (ED) wegen mutmaßlicher Geldwäsche ermittle. Schon älter ist der Hinweis der Modi-Regierung, dass man einem Verdacht nachgehe, dass AI die Regeln für Spenden aus dem Ausland gebrochen haben könnte. "Das ist eine grobe Lüge", sagte Rajat Khosla, Forschungsdirektor bei AI India, zu solchen Vorwürfen. Die Abteilung arbeite im Einklang mit allen Gesetzen.

Der Schlag gegen AI, der die Organisation in die Nähe krimineller Kartelle rückt, folgt auf zwei kritische Berichte von AI India: Einer beschäftigte sich mit den blutigen Unruhen zwischen Hindus und Muslimen in Delhi und legt der Polizei Menschenrechtsverletzungen während der Einsätze zur Last, der andere konzentrierte sich auf das Krisengebiet Kaschmir und beklagte die dortigen Beschränkungen von Freiheiten für die Bewohner, nachdem Delhi der Region die teilweise Autonomie entzogen hatte.

Unter Premier Modi ist der Raum für Stimmen der Zivilgesellschaft weiter geschrumpft

Organisationen der Zivilgesellschaft geraten immer wieder in Indien unter Druck. Auch die Vorgängerregierung warf Kritikern zuweilen vor, sie seien durch das Ausland finanziert und von dort gesteuert. Die Regeln für Spenden aus dem Ausland hat Indien kontinuierlich verschärft, vielen Organisationen wurden so Spenden aus anderen Ländern verwehrt.

Unter Modi ist in Indien der Raum für Stimmen der Zivilgesellschaft weiter geschrumpft. Aktivisten klagen über Repressalien und Einschüchterungen durch hindunationalistische Kräfte. Das gesellschaftliche Klima ist teils stark vergiftet, nachdem Anhänger der Modi-Partei und auch hochrangige Regierungsmitglieder gegen Muslime als angebliche Vaterlandsverräter hetzten und Stimmung gegen sie machten.

Der Streit um die Finanzierung und Rolle von NGOs in Indien dürfte weitergehen: Erst vor wenigen Tagen appellierte ein Bündnis der Zivilgesellschaft an den Präsidenten Ram Nath Kovind, die vom Parlament ausgearbeitete Neufassung eines Finanzierungsgesetzes nicht zu unterzeichnen. Es regelt die Annahme von Spenden für Individuen, Verbände und Firmen und zielt darauf ab, dass kein Geld nach Indien fließen soll, das dem nationalen Interesse schadet. Kritiker beklagen, dass die Neufassung zu eilig durchs Parlament gepeitscht worden sei und NGOs dämonisiere - jene Organisationen also, die jetzt zur Bewältigung der Covid-19-Krise gefragt seien. Die Regierung hält dagegen, dass das Gesetz die Transparenz fördern solle.

© SZ vom 30.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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