Indien:Der Spalter

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Premier Modi persönlich legt den Grundstein für einen Hindu-Tempel, wo einst eine Moschee stand. Damit demütigt er die 200 Millionen Muslime im Land - und gefährdet ganz bewusst den gesellschaftlichen Frieden.

Von Tobias Matern

Stoff für einen Spielfilm hält die Biografie dieses Mannes bereit: Als Sohn eines Teeverkäufers hat es Narendra Modi in der zumindest zahlenmäßig größten Demokratie der Welt bis in das Amt des Premierministers geschafft, gleich zweimal mit komfortabler Mehrheit. Modi hat seinen Eintrag in den Geschichtsbüchern also schon sicher. Auch weil der Politiker der hindunationalistischen BJP die säkulare Nehru-Gandhi-Dynastie im Alleingang entmachten und die Ambitionen Rahul Gandhis ausbremsen konnte. Dabei war der Sprössling des Clans schon lange als demokratischer Thronfolger für das Amt des Regierungschefs vorgesehen.

Trotzdem: Modi macht als Premierminister nicht die Politik, die der Vielvölkerstaat Indien bräuchte. Die Art, wie er sein Amt ausübt, stellt vielmehr eine Gefahr für das Land dar. Modi fehlt eine besondere Gabe, das hat sich schon lange vor seiner Zeit als Regierungschef in Delhi abgezeichnet. Als Ministerpräsident des Bundesstaates Gujarat befeuerte er eher religiöse Unruhen, statt sie zu schlichten. Nun müsste Modi zumindest in neuer Rolle versuchen, das Land mit seinen 1,35 Milliarden Menschen zu einen, die Religionen auszubalancieren und Perspektiven für jede Inderin und jeden Inder zu schaffen. Aber er versetzt die Nation in Unruhe.

Wie er das macht, wird in diesen Tagen wieder einmal besonders deutlich: Modi hat sich nach einem jahrelangen Rechtsstreit und einem höchstrichterlichen Entschluss dazu entschieden, selbst den Grundstein für den Bau eines Hindu-Tempels zu legen. Seine Anhänger liegen ihm dafür zu Füßen, die Muslime schweigen aus Furcht vor weiteren Repressalien lieber. Der Tempel entsteht an einer Stelle, an der einst eine Moschee stand, die von einem Hindu-Mob verwüstet wurde und in dessen Folge bei Auseinandersetzungen 2000 Menschen starben.

Modi sichert sich damit zwar mühelos den Applaus seiner Fans. Aber es ist ein Spiel mit dem Feuer, den gesellschaftlichen Frieden Indiens bringt er so massiv in Gefahr. Im Land der gigantischen Bevölkerungszahlen gibt es 200 Millionen Muslime, die sich zunehmend und zu Recht wie Bürger zweiter Klasse behandelt fühlen. Erst hat Modi ein Staatsbürgerschaftsgesetz unterstützt, was Muslime benachteiligt. Dann hat er dem indischen Teil Kaschmirs die Teilautonomie gestutzt, was Muslime benachteiligt. Nun bringt er vor den Augen der Nation einen Tempel auf den Weg, was Muslime demütigt. Es braucht keine besondere Fähigkeiten, um darin ein Muster zu erkennen.

Der mächtige Regierungschef verpasst nicht nur innenpolitisch die Möglichkeit, sein Kapital als ein über den Dingen stehender Politiker zu nutzen, um die latent schwelenden Konflikte im Land zu entkräften. Auch außenpolitisch lässt er eine gute Gelegenheit aus, seinem Land zu mehr Ansehen zu verhelfen. In einer Zeit von schwächelnden Supermächten und zunehmend autoritär agierenden Staaten könnte Indien das leuchtende Gegenbeispiel werden: ein Land, das Minderheiten mitnimmt, nicht ausgrenzt. Genau darin liegt der Zauber dieser vielschichtigen Nation: dass sehr viele Menschen mit sehr vielen unterschiedlichen Ansichten friedlich miteinander leben können. Aber Modi reiht sich in einen bedenklichen Zeitgeist ein, bei ihm heißt es: "Hindus zuerst". Falls sein Leben tatsächlich einmal verfilmt werden sollte - "Der Spalter" bietet sich als Titel an.

© SZ vom 07.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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