Indien:Als das Geld verschwand

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Indiens Premier inszeniert sich als Korruptionsbekämpfer. Doch seine erste große Maßnahme endet im Chaos. Verzeihen ihm die Wähler?

Von Arne Perras, Lucknow

Am späten Nachmittag füllen sich die Gassen im alten Markt, viele Frauen sind unterwegs und schlendern an den Läden der Kleinhändler vorbei. Schuhe, Saris, Jacken, Hosen. Wer sich günstig einkleiden will, ist hier genau richtig. Dipu Jaiswal wartet schon den ganzen Tag auf Kundschaft, in seinem Stand hängen bunte Kleider. Der Händler sieht nicht glücklich aus. "Der Laden hat uns immer gut ernährt", sagt der junge Hindu. "Aber jetzt hat es uns hart getroffen. Die vergangenen Monate waren furchtbar."

Vishesh Garments ist ein Familienbetrieb in zweiter Generation. Und der Händler Jaiswal kann sich nicht erinnern, dass die Geschäfte jemals so miserabel liefen. Keine Kunden, kein Umsatz. Im Dezember musste Händler Jaiswal seine Ersparnisse anpacken, um für Frau und Kinder Essen auf den Tisch zu bringen. Die übrigen Händler auf dem Markt erzählen ähnliche Geschichten, ihr Ärger ist kaum zu überhören. Sie haben gelitten, als der indische Premier Narendra Modi Mitte November in einer Blitzaktion 86 Prozent des im Umlauf befindlichen Bargelds für ungültig erklärte. Seine Anhänger priesen den Schritt als "Geniestreich" und "chirurgischen Eingriff" im Kampf gegen das Schwarzgeld, das viele Inder angeblich haufenweise gebunkert haben. Doch der Schritt war schlecht vorbereitet, sodass großes Chaos entstand. Vor den Banken bildeten sich riesige Menschenschlangen, neues Geld kam nur schleppend in Umlauf. Jaiswal sagt, sein Geschäft habe sich noch immer nicht erholt. "Die Leute kommen und schauen, aber sie kaufen kaum." Sie zögern, obgleich neues Geld wieder verfügbar ist.

Begegnungen in Lucknow, Hauptstadt des indischen Bundesstaates Uttar Pradesh. Ab diesem Samstag wird hier in sieben Phasen ein neues Regionalparlament gewählt. Doch ist die Abstimmung weit mehr als eine Angelegenheit der indischen Provinz. Analysten betrachten sie als eine Art Referendum über Premier Narendra Modi und dessen Politik, vor allem die umstrittene Geldreform, die er als Schlag gegen Schwarzgeld-Sünder verteidigt.

"Modi ist furchtlos", sagt der Student, das imponiert ihm besonders

Modi-Fans in Uttar Pradesh posieren bei einer Wahlveranstaltung der BJP mit Masken des Premiers. (Foto: Prakash Singh/AFP)

Werden die Wähler den Premier dafür bestrafen, dass er ihnen wochenlang den Alltag so schwer machte? Oder schätzen sie Modi trotz allem als Kämpfer gegen die Schattenwirtschaft, die jahrzehntelang ungehemmt wucherte? Die Wahl wird zeigen, ob sich Modis Experiment in einen politischen Bumerang verwandelt.

Wer in Uttar Pradesh siegen wird, ist schwer abzusehen. Wenige Tage vor der Abstimmung veröffentlichte die Zeitung Business Standard eine Umfrage, wo-nach 40 Prozent der Wähler immer noch unentschlossen waren, wem sie ihre Stimme geben sollten. Sicher ist nur, dass Modis Bharatiya Janata Party (BJP) auf einen starken Gegner stößt. Der Bundestaat mit seinen 200 Millionen Einwohnern wird vom Sohn eines einflussreichen Politiker-Clans regiert: Akhilesh Yadav ist ein gewiefter Provinzpolitiker, der sich mit der Kongresspartei der Gandhi-Dynastie verbündet hat. Die Gemengelage ist kompliziert: Kaste, Religion, Clan, alles spielt eine Rolle, wenn Parteien an den Ufern des Ganges um Stimmen ringen. Doch zumindest die Frontstellung ist klar: Die BJP stemmt sich alleine gegen alle anderen. Wie das Rennen ausgehen wird, erfahren die Inder erst am 11. März, dann werden auch die Ergebnisse von vier weiteren Regionalwahlen in Indien bekannt.

"Modi ist furchtlos", sagt Prashant Chaudhary in der Stadt Meerut, das imponiert dem 18-jährigen Geschichtsstudenten ganz besonders. "Wir brauchen einen starken Premier, der sich was traut." Und deshalb ist er jetzt auch draußen auf dem staubigen Feld, wo die Massen aus allen Richtungen zusammenströmen. Sie warten auf Modis Auftritt. Viele junge Leute sind gekommen, 22 Millionen Erstwähler gibt es in diesem Staat. Viele tragen orange Hüte und schwenken Fahnen mit der Lotusblume, dem Emblem der BJP. Ganz vorne spendet ein weißes Zeltdach Schatten, die Bühne ist bereitet für den Regierungschef aus Delhi. Später wird die Polizei 45 000 Menschen auf dem Feld zählen. Für indische Verhältnisse ist das noch eine sehr überschaubare Wahlkundgebung.

Um zehn vor zwei donnern drei Militärhelikopter über das Feld, wenig später er-klimmt Modi das Podium. Weißer Bart, orangefarbene Kurta, graue Jacke. Er winkt staatsmännisch, Jubel braust in der Menge auf. Eine Stunde lang wird er nun reden, wobei seine gestreckten Arme unablässig in Bewegung sind, dieser Mann ist voller Ungeduld und nicht zu bremsen. Man kann gut beobachten, wie er die jungen Leute in Meerut in seinen Bann zieht.

Mal attackiert er seine Gegner, die nicht in der Lage seien, mit Korruption und Verbrechen aufzuräumen. Mal lockt er mit Versprechungen, dass jeder bis 2022 ein eigenes Haus bekomme, wenn die BJP re-giert. Er weiß, dass viele aus der Gegend zur Armee gehen, also erzählt er davon, wie er mit den Soldaten das Hindufest Diwali feierte, in den Bergen Kaschmirs.

Im November hatte Premierminister Modi unter anderem den 500 Rupien-Schein für ungültig erklärt. (Foto: Piyal Adhikary/dpa)

Erst ganz zum Schluss verliert Modi ein paar Worte über die Bargeldreform. "Ich brauche eure Hilfe, um die Korruption zu eliminieren", ruft er. Sein Kampf gehe weiter. Ob das reichen wird, um die Frustrierten zu besänftigen? Keiner weiß es. Modi versucht in diesen Tagen immer wieder, sich als Anwalt der Armen zu präsentieren. Für sie und niemand anderen habe er das durchgezogen. Eine mutige Behauptung, wenn man bedenkt, dass Tagelöhner und Kleinhändler ohne Bankkonto zunächst am meisten gelitten haben. Aber der Premier sieht das langfristig. Er versichert, dass die Armen schon noch profitieren werden vom Schlag gegen die Korruption.

Die Wirtschaft muss sich erst mal von der Schocktherapie erholen

Wie er das anstellen will, hat er bislang nicht gesagt. Er darf das jetzt auch gar nicht. Denn das Wahlgesetz verbietet, staatliche Wohltaten so kurz vor einer Abstimmung bekannt zu geben. Das wäre unlautere Beeinflussung der Wähler. Also warten alle, was der Premier nach der Wahl noch für die Massen aus dem Hut zaubern könnte. Spekuliert wird, dass Modi Strafsteuern auf das Schwarzgeld in Programme für die Armen investieren könnte. Geht die Wahl für die BJP dennoch verloren, wäre das ein schwerer Vertrauensver-lust für Modi. Viele würden die Niederlage als Zeichen werten, dass die Hoffnungen in ihn als Reformer schwinden. Gelingt ihm hingegen der Sieg in Uttar Pradesh, wird das sein Image eines vor Kraft strotzenden Machers beleben. Seine Partei bekäme außerdem weitere Sitze im Oberhaus. Die braucht Modi dringend, wenn er Indiens verkrusteten Staat weiter umbauen und die Ökonomie ankurbeln will.

Vorerst aber muss sich die Wirtschaft erst mal von den Folgen der Schocktherapie namens Bargeldreform erholen. Und bei manchen sitzt der Schmerz tief. Ladenbesitzer Dipu Jaiswal hat bei den nationalen Wahlen 2014 noch für Modi gestimmt. "Aber jetzt werde ich mir das zweimal überlegen", sagt er grimmig. Nicht alle in der Familie sind seiner Meinung. Cousin Anshu Jaiswal sagt: "Ich wähle trotzdem Modi." Er tue das für seine Kinder. Der blitzartige Austausch der Geldscheine sei zwar eine Zumutung gewesen, dennoch findet er, dass man Opfer bringen müsse, wenn sie das Land langfristig voranbringen.

Immer wieder hört man solche Stimmen auf der Straße. Zum Urteil vieler Ökonomen passen sie nicht. Wirtschaftsexperten zweifeln den Nutzen der Bargeldreform stark an. Es hat viele Tricksereien gegeben, um die unversteuerten Geldberge in Konten anderer Leute zu verstecken oder reinzuwaschen. Noch hat die Regierung nicht vorgerechnet, wie viel Schwarzgeld sie überhaupt aufstöbern konnte.

"Was wir gemacht haben, wird den Ökonomen in aller Welt eine Fallstudie liefern", erklärt Modi im Parlament, wo er kurz vor der Wahl noch einmal zur Großrechtfertigung seiner Politik anhebt. Er gibt den obersten Chirurgen der Nation, der den indischen Patienten vom Geschwür der Korruption befreit. Ökonomen dürften noch einige Zeit brauchen, um diese Fallstudie auszuwerten. Die Wähler können darauf nicht warten. Sie müssen jetzt entscheiden, ob es Modi kann oder nicht.

© SZ vom 11.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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