Corona:Sondergruppe "Vakzin" ermittelt im friesischen Impfskandal

Lesezeit: 3 min

Eine Frau, die sich impfen lassen möchte, betritt das Impfzentrum Roffhausen in Friesland, wo eine Mitarbeiterin Injektionen manipulierte. (Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa)

Noch immer ist unklar, wie viele Spritzen die mittlerweile entlassene Mitarbeiterin des Impfzentrums Roffhausen mit Kochsalzlösungen befüllte - und warum sie das tat.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Es gibt ja immer wieder Ermittlungsgruppen bei der Polizei, diese allerdings ist ungewöhnlich. Es ist die Ermittlungsgruppe "Vakzin", am Dienstag eingerichtet bei der Polizeidirektion Oldenburg. Sie wird sich mit dem Impfskandal in Friesland beschäftigen, der seit einigen Tagen mehr Fragen aufwirft als er Antworten liefert.

Der Polizeivizepräsident Andreas Sagehorn will "weiter Licht ins Dunkel bringen". Das wäre auch im Sinne jener mehr als 10 000 Geimpften in dieser niedersächsischen Gegend, die sich angesichts der Zweifel an ihrer bisherigen Impfung nachimpfen lassen sollen oder bereits einen weiteren Piks bekommen haben.

Wie viele Corona-Impfdosen im deutschen Nordwesten hat die verdächtige Krankenschwester wirklich so mit Kochsalzlösung versetzt, dass der Impfschutz ausbleibt? Was genau ist da passiert?

Ende April war zunächst bekannt geworden, dass eine Mitarbeiterin des Deutschen Roten Kreuzes im DRK-geführten Impfzentrum Roffhausen bei Wilhelmshaven sechs Spritzen mit Kochsalzlösung aufgefüllt haben. Sie war für das Aufziehen der Spritzen zuständig. Ihr sei vorher eine Ampulle mit dem Wirkstoff von Biontech heruntergefallen, sie habe das vertuschen wollen.

Erst hieß es von den Behörden, sie habe dabei nur Kochsalzlösung verwendet. Zuletzt erklärte ihr Anwalt, es sei auch Impfstoff in den sechs Spritzen gewesen, so habe sie es auch schon ausgesagt. Die Staatsanwaltschaft, die wegen des Verdachts auf Körperverletzung in sechs Fällen ermittelt, räumt das ein. Die Frau wurde damals beim DRK entlassen. Und zunächst gut 100 Geimpften empfahl man neue Impfungen, nachdem bei 22 von ihnen fehlende Antikörper festgestellt worden waren.

Dann meldeten sich Zeugen, worauf die Ermittler den Eindruck gewannen, dass wesentlich mehr Menschen betroffen sein könnten. Es hätten sich die Hinweise verdichtet, dass die Beschuldigte weitere Impfungen manipuliert habe, erläutert der Oldenburger Polizei-Vize Sagehorn. Auch könne "ein Motiv einer kritischen Haltung zum Thema Impfungen nicht ausgeschlossen werden." So habe man nicht bis zum Abschluss der Ermittlungen gewartet und "dem Landkreis Friesland unverzüglich die veränderte polizeiliche Gefährdungsbewertung mitgeteilt."

Erst bekamen daraufhin 8557 Geimpfte Post von der Kreisverwaltung. Sie hatten die erste oder zweite Spritze gegen Covid-19 bekommen, als die DRK-Helferin mit den Spritzen im Dienst war. Zuletzt tauchte anhand von Stundenabrechnungen zusätzliche Arbeitszeit auf. So wuchs die Gruppe, die zwischen dem 5. März und dem 24. April 2021 in Roffhausen geimpft worden war, auf 10.186 Menschen. Ihnen allen wurde geraten, sich einen neuen Termin zu besorgen.

Sehr wahrscheinlich haben wesentlich weniger Geimpfte keinen Impfschutz bekommen, von einer Vorsichtsmaßnahme ist die Rede. Aber Fakt sei eben auch, "dass wir derzeit nicht genau beziffern können wie viele Menschen betroffen sein könnten", sagt Sagehorn. Man werde alles daran setzen, den Fall vollständig aufzuklären.

Acht Beamtinnen und Beamte bilden die Soko Vakzin, darunter Vertreter von Staatsschutz und der Abteilung für sogenannte Rohheitsdelikte. So sollen auch herausbekommen, was die mutmaßliche Panscherin dazu getrieben hat. Sie soll im Netz Posts mit Kritik an der Corona-Politik und Corona-Impfungen geteilt oder weitergeleitet haben. Ihr Anwalt widersprach kürzlich der Version, dass seine Mandantin ein politisches Motiv gehabt habe. Sein Team schaue "in alle Richtungen, die relevant sind", sagt Kriminalhauptkommissar Andreas Hettwer, der die Ermittlungsgruppe leitet.

Schon jetzt sind Aufwand und Verunsicherung enorm. Unklar beispielsweise ist, warum es nicht auffiel, wenn womöglich mehrere oder gar wochenlang Spritzen mit Kochsalzlösung aufgezogen wurden. Das Vier-Augen-Prinzip verordnete der Landrat Sven Ambrosy (SPD), als die ersten Verdachtsfälle publik wurden.

Auch sei jede Ampulle des Impfstoffs dokumentiert, wie Ambrosy der Nordwest-Zeitung versicherte, es fehle keine. Schlamperei im Impfzentrum kann der Landrat keine erkennen. Aber wenn die Dosen tatsächlich gestreckt waren: Warum hat niemand gemerkt, dass mit dem vorhandenen Impfstoff auf einmal mehr Menschen geimpft werden konnten als sonst?

Antikörpertest gelten vor allem Monate nach der Impfung als unzuverlässig. Eine Neuimpfung dagegen soll auch dann unbedenklich sein, wenn sie unnötig ist. Der Landkreis Friesland hatte sich mit dem Landesgesundheitsamt und dem Robert-Koch-Institut beraten. Auch Ambrosy geht nicht davon aus, dass sämtliche 10 200 Personen keine sachgemäße Impfung erhalten haben. Aber es könnten einige dabei sein, "die keinen Impfschutz haben - und das wollen wir so schnell wie möglich beheben." Bis zum Dienstag, als die Soko Vakzin loslegte, gingen im Kreis Friesland ungefähr 5700 Anmeldungen für neue Impfungen ein.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: