Im Gespräch: Wolfgang Schäuble:"Die Kanzlerin hat Erfolg, weil sie ist, wie sie ist"

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Wolfgang Schäuble und Angela Merkel verbindet eine 20-jährige, wechselvolle Geschichte. Kaum einer kennt die Kanzlerin so gut wie der Finanzminister.

Stefan Braun und Claus Hulverscheidt

Kaum jemand kennt Angela Merkel so gut wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, 67. Die beiden verbindet eine 20-jährige, wechselvolle Geschichte, in deren Verlauf auch das persönliche Verhältnis eine Menge Schrammen abbekam. Dennoch steht Schäuble loyal zur heutigen Kanzlerin. Seine Botschaft: Einen Besseren oder eine Bessere als Merkel hat die CDU derzeit nicht.

Der Herr über den Rotstift: Finanzminister Schäuble während der Pressekonferenz zum Haushaltsentwurf: "Das Ziel ist, das Land geordnet aus der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise der Nachkriegszeit herauszuführen." (Foto: dpa)

SZ: Herr Schäuble, Sie haben erklärt, der Denkzettel bei der Wahl des Bundespräsidenten habe nicht Christian Wulff gegolten, sondern Angela Merkel. Was meinen Sie damit?

Schäuble: Natürlich war es ein wenig überraschend, dass wir drei Wahlgänge gebraucht haben. Es lohnt aber nicht, darüber nachzudenken, wer da in den ersten beiden Runden warum wie gestimmt hat. Es war jedenfalls keine organisierte Aktion. Richtig ist, dass die Arbeit der Koalition auch von manchen in Union und FDP viel negativer bewertet wird, als es objektiv gerechtfertigt wäre - woran wir zweifellos selber schuld sind. Ganz offensichtlich ist der Ärger über die vermeintlich schlechte Arbeit an jenem Mittwoch kulminiert.

SZ: Wie konnte es zu diesem beispiellosen Fehlstart der Koalition kommen?

Schäuble: Wir haben im vergangenen Herbst einen Koalitionsvertrag geschlossen, von dem mir immer klar war, dass er in einigen Punkten widersprüchlich ist. Ich habe darauf immer hingewiesen.

SZ: Viele in Ihrer Partei beklagen aber auch, dass es der Kanzlerin an Leidenschaft, an Visionen, an geistiger Führung mangelt. Stattdessen, so der Vorwurf, regiert Merkel kühl und technokratisch.

Schäuble: Angela Merkel hat herausragende Eigenschaften, deshalb ist sie die Kanzlerin und niemand sonst. Sie hat große Erfolge erzielt, weil sie so ist, wie sie ist. Nehmen Sie das Beispiel der Hilfen für Griechenland: Da war Merkel zurückhaltender als ich und hat erst zugestimmt, als alle Auflagen erfüllt waren. Im Nachhinein betrachtet muss ich sagen: Sie hatte recht.

SZ: Warum wird dann unter der Hand permanent über sie gemäkelt?

Schäuble: Ja, da wird dann gesagt, sie sei nicht konservativ genug, sie sei zu liberal, zu sozialdemokratisch. Das ist alles Quatsch. Die Kanzlerin hat viel besser als fast alle ihrer Kritiker verstanden, wie rasch sich die Welt verändert und was das für die Politik bedeutet. Wenn sie etwa die Integration ausländischer Mitbürger befördert, dann nicht, weil ihr das Konservative nichts wert wäre, sondern weil die Kanzlerin weiß, dass wir diese Menschen angesichts unserer demographischen Entwicklung schlicht brauchen. Gerade der älteren Generation, zu der auch ich gehöre, fällt es oft schwer, mit der Entwicklung Schritt zu halten. Aber schauen Sie sich doch unsere Fußball-Nationalmannschaft oder das Phänomen Lena an, da ist die Veränderung doch mit Händen zu greifen.

SZ: Was heißt das für die CDU?

Schäuble: Das heißt, dass sich auch die Parteien verändern müssen. Die alten Antworten reichen nicht mehr. Eine Partei ist heute nicht mehr die große Familie, die große Gemeinschaft, die sie vielleicht früher einmal war. Die gleiche Erfahrung machen die Kirchen, die Gewerkschaften und viele andere gesellschaftliche Institutionen.

SZ: Aber Modernität und Emotionalität schließen sich doch nicht aus. Wenn man sieht, wie die Kanzlerin im Stadion mit der Fußball-Nationalmannschaft mitfiebert, spürt man, dass ihre Begeisterung, ihre Leidenschaft echt ist. Diese Leidenschaft fehlt vielen Parteimitgliedern bei ihr, wenn es um die Politik geht.

Schäuble: Ich bin mir gar nicht sicher, ob die Menschen in der Politik wirklich Emotionalität statt Sachlichkeit wollen.

Wolfgang Schäuble in Bildern
:Der Alleskönner

Finanzminister Schäuble hat eine beeindruckende Karriere als Bundespolitiker hinter sich. Trotzdem mehren sich nun Zweifel, ob er seinem Amt gewachsen ist.

SZ: In der Bundesversammlung war es jedenfalls so, dass Roland Koch nach dem zweiten Wahlgang in der Fraktion die große emotionale Rede gehalten hat, die Wulff doch noch zur absoluten Mehrheit verhalf. Viele haben später gesagt, das sei genau die Rede gewesen, die man sich von Merkel gewünscht hätte.

Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble. Ein Herz und eine Seele? Nicht immer. Dennoch steht der CDU-Politiker loyal hinter Merkel. (Foto: ag.ddp)

Schäuble: Ja, die Stimmen gab's. Aber Merkel ist nicht Koch, und Koch ist nicht Merkel. Jeder hat seine Vorzüge. Koch etwa hat jüngst vorgeschlagen, bei der Bildung zu sparen. Das wäre völlig falsch gewesen, und zum Glück hat Merkel anders entschieden. Sie ist der Typ, der eher abwägt, der den Dingen auf den Grund geht und der versucht zusammenzuführen.

SZ: Sie haben eben davon gesprochen, dass der Frust über die bisherige Arbeit der Koalition in der Bundesversammlung kulminiert sei. Wie kann es gelingen, diesen Knall in positive Energie umzuwandeln?

Schäuble: Indem wir uns erstens darauf konzentrieren, unsere Arbeit ordentlich zu machen und zweitens auf die dauernden Querschüsse aus den eigenen Reihen verzichten. Ich habe mich genau wie die Kanzlerin sehr darüber geärgert, dass am Tag nach unserer Sparklausur eine koalitionsinterne Debatte darüber losbrach, an welcher Stelle jetzt die Steuern erhöht oder gesenkt werden sollen. Es fehlt gerade noch, dass wir mitten in der Sommerpause eine Diskussion über die ermäßigten Mehrwertsteuersätze anfangen. Was soll das? Wir sollten die Bevölkerung einmal in Ruhe lassen und ihr die Chance geben, unsere Politik nachzuvollziehen und zu begreifen.

SZ: Reicht es, ordentliche Arbeit abzuliefern, oder müsste die christlich-liberale Koalition nicht auch endlich erklären, wohin sie dieses Land eigentlich führen will? Was ist das Ziel?

Schäuble: Das Ziel ist, das Land geordnet aus der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise der Nachkriegszeit herauszuführen. Und das Ziel ist zweitens, die Veränderungen in der Welt wahrzunehmen und sie in Politik umzusetzen. Dazu zählt beispielsweise die volle Konzentration auf die frühkindliche Bildung - ein Thema, bei dem gerade die Partei, deren Vorsitzende die Kanzlerin ist und der ich auch schon einige Jahrzehnte angehöre, erheblichen Nachholbedarf hat. Dazu zählen auch die bessere Einbindung von Frauen und die bessere Integration von Migranten in die Arbeitswelt. All das tut die Bundeskanzlerin.

SZ: Sie haben mehrfach auf den demographischen Wandel hingewiesen, der die Politik schon bald stark belasten wird. Darüber hinaus greift ab 2011 die neue Schuldenbremse. Hätte man angesichts dieser riesigen Herausforderung vor der Aufstellung des Finanzplans für die Jahre bis 2014 nicht alle Ausgaben, Subventionen und Vergünstigungen des Staats auf den Prüfstand stellen müssen statt einfach business as usual zu betreiben?

Schäuble: Ja, das hätte man tun können. Subventionsabbau klingt auch immer gut, in Wahrheit aber bedeutet die Streichung von Vergünstigungen häufig nichts anderes als Steuererhöhungen.

SZ: Jetzt sind Sie Gefangener Ihrer eigenen Polemik aus schwarz-gelben Oppositionszeiten, als sie die Bemühungen der damaligen rot-grünen Regierung um Subventionskürzungen mit genau dieser Rhetorik madig gemacht haben.

Schäuble: Mag sein, vor allem aber müssen wir das Ergebnis der Bundestagswahl zur Kenntnis nehmen. Damals sind doch viele Unionswähler zur FDP gewechselt, weil sie Steuersenkungen und nicht Steuererhöhungen wollten.

SZ: Richtigerweise müsste man sagen: Die Wähler sind auf die FDP hereingefallen. Es war doch schon vor der Wahl klar, dass Steuersenkungen und Haushaltskonsolidierung nicht zusammenpassen.

Schäuble: Deshalb habe ich ja damals - leider erfolglos - dafür plädiert, dass wir im Wahlkampf keine Steuersenkungen versprechen sollten. Jetzt haben wir im Koalitionsvertrag ein Problem und müssen damit umgehen.

SZ: Tatsache ist, dass die Koalition auf die systematische Überprüfung aller Subventionen verzichtet hat und stattdessen einen Finanzplan vorlegt, der die Schuldenbremse gerade so einhält. Selbst der Vorsitzende Ihres eigenen Wissenschaftlichen Beirats, Professor Fuest, sagt, der Haushalt sei "auf Kante genäht".

Schäuble: Herr Fuest ist ein hervorragender Finanzwissenschaftler, aber er vertritt seine Privatmeinung. Natürlich müssen wir einige Elemente des Etats, etwa die neue Brennelemente- und die Finanztransaktionssteuer, erst umsetzen. Ich werde aber einen Haushalt, der gegen die Schuldenbremse und damit gegen die Verfassung verstößt, niemals unterschreiben - und die Bundeskanzlerin auch nicht. Außerdem hatten wir ja gerade die Diskussion mit den Amerikanern, ob wir nicht sogar zu viel sparen. Wir Europäer haben unsere Partner beim G-20-Gipfel aber davon überzeugt, dass wir unsere Defizite abbauen, ohne das Wachstum zu gefährden.

SZ: Die FDP und auch einige CDU-Politiker wollen zahlreiche Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer streichen, um mit den zusätzlichen Einnahmen doch noch die Einkommensteuer senken zu können. Sie hingegen haben erklärt, die Überprüfung der Mehrwertsteuersätze werde bis 2013 dauern. Warum braucht man dafür drei Jahre?

Schäuble: Ich habe nur zum Ausdruck bringen wollen, dass dieses Thema keine Priorität hat. Wir müssen eins nach dem anderen abarbeiten. Thema Nummer eins ist für mich die Reform der Gemeindefinanzen und der Gewerbesteuer. Außerdem brächte eine Neuregelung der Ausnahmen bei der Mehrwertsteuer längst nicht die zusätzlichen Einnahmen, die sich manche erhoffen. Ob das den Streit lohnt, der bei der Streichung jeder einzelnen Vergünstigung unweigerlich ausbrechen wird, weiß ich nicht.

SZ: Mit der Einführung des Mehrwertsteuerprivilegs für Hoteliers ist die Koalition überdies erst einmal stramm in die falsche Richtung marschiert.

Schäuble: Das ist wahr. Ich habe deshalb Respekt davor, wenn der FDP-Generalsekretär einräumt, dass man diesen Beschluss noch einmal überdenken sollte. Andererseits frage ich mich, ob die Politik wirklich etwas gewinnt, wenn sie eine umstrittene Entscheidung nach nur einem halben Jahr wieder zurücknimmt. Wir haben deshalb vereinbart, dass sich die Führung der Koalition im Herbst mit der Frage der Mehrwertsteuerausnahmen befasst.

SZ: Warum erhöhen Sie nicht parallel zur Mehrwertsteuerreform den Spitzensteuersatz und finanzieren mit den Mehreinnahmen eine Steuersenkung für Bezieher geringer und durchschnittlicher Einkommen? Viele Spitzenverdiener haben doch angeboten, einen Beitrag zur Haushaltssanierung zu leisten.

Schäuble: Weil wir mit Steuererhöhungen das G-20-Konzept einer wachstumsfreundlichen Haushaltssanierung torpedieren würden. Wissen Sie im Übrigen, wer den Spitzensteuersatz so dramatisch auf das heutige Niveau gesenkt hat?

SZ: Das war Rot-Grün. Aber wissen Sie noch, wer damals gesagt hat, das gehe alles noch nicht weit genug?

Schäuble: Das habe ich vergessen.

© SZ vom 10.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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