Es ist Dienstagabend, Ilse Aigner hat kurzfristig zum Pressegespräch eingeladen. Seit Tagen beschäftigt der Dioxin-Skandal das Land. Am Morgen war die Verbraucherschutzministerin in der Bild-Zeitung heftig kritisiert worden. Ihrer Ansicht nach, zu Unrecht. "Wir haben alles in die Wege geleitet, was man in die Wege leiten konnte", sagt die 46-Jährige und erzählt, was sie alles veranlasst hat, um die Verbraucher zu schützen und solche Fälle in Zukunft zu verhindern. "Ich habe mir da nichts vorzuwerfen." Nur ein paar hektische rote Flecken verraten, wie sehr sie die Kritik getroffen hat. Ein Journalist will wissen, ob es nicht Zeit wäre für eine Agrarwende. "Wollen Sie dieses Fass auch noch aufmachen?", fragt er. Aigner sieht auf ihre Uhr. Es ist 21:15 Uhr. "Jetzt nicht", sagt sie und lacht. Sie muss los, im ZDF-Studio warten Marietta Slomka und das heute-journal.
Der Dienstag ist der Tag, an dem Aigner spätestens gemerkt haben muss, dass die Dioxin-Krise zu ihrer Krise als Ministerin geworden ist. So bedauerlich die Ereignisse sind: Politisch hätte der Skandal eine Riesenchance für die CSU-Politikerin sein können. Sie hätte sich als Kämpferin für Verbraucherschutz, für eine nachhaltige Agrarpolitik profilieren können. Doch die ersten Reaktionen aus ihrem Haus bestanden im Wesentlichen aus zwei Aussagen: "Die Lebensmittel- und Futtermittelüberwachung in Deutschland ist Länderaufgabe." Und: "Wir beobachten die Lage weiterhin sehr aufmerksam."
Dass das zu wenig ist, wurde schnell klar, als die Reaktionen entsprechend ausfielen. Seither meldet Aigner sich zu Wort, fordert Strafen, will dies prüfen und das klären - stets mit energischem Unterton. Sie wird nicht müde zu betonen, dass "skrupellos" gehandelt wurde und der Fall Konsequenzen haben müsse. Oder der Satz, den man jetzt bis zum Umfallen oft von ihr gehört hat: "Es besteht keine akute Gefahr für die Gesundheit." Man könnte ihn auch auf jede Zigarettenschachtel drucken. Aigner ließ eine große Chance verstreichen. Am Dienstagabend ist es zu spät.
Um 21:48 Uhr verschwindet das Lächeln der Ministerin. Fast schon aggressiv befragt heute-journal-Moderatorin Slomka sie im Live-Interview. Warum hat sie im Dioxin-Skandal so spät reagiert? Warum hat sie den Fall nicht sofort zur Chefsache gemacht? Warum fordert sie die Futtermittelhersteller zu Lösungsvorschlägen auf? "Müssten solche Vorschläge nicht von Ihnen kommen?" Slomka knallt die Fragen nur so raus, Aigner antwortet schnell, ohne Punkt und Komma - und wird doch vor 2,84 Millionen Zuschauern kleiner und kleiner.
Reden ohne Substanz
Sicher, es war ein langer Tag, voll mit Terminen. Nach einem Datenschutz-Kongress hatte sie am Nachmittag dem Verbraucherausschuss des Bundestags Rede und Antwort gestanden. Sie ist müde. Und doch offenbart Aigner in diesen Tagen und jetzt auch noch im Fernsehen schonungslos ihr größtes Problem: Sie wirkt substanzlos. Hat auf alles eine Antwort, kann reden, reden, reden - und sagt doch überhaupt nichts.
Die Kritiker sehen ihre Chance, halten ihr alles vor, worüber sie sich in der Vergangenheit geärgert haben. Die Verbraucherorganisation Foodwatch stellt fest, dass sie die Interessen der Industrie über die der Verbraucher stelle. Die Bild-Zeitung hält sie für "völlig ungeAignert". Die SPD kritisiert, sie habe versagt. Die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast, früher selbst Verbraucherschutzministerin, bezeichnete sie gar als "Totalausfall" und fordert ihre Entlassung. Für Aigner dürfte es die schlimmste Zeit ihrer bislang so gradlinigen Karriere sein.
Dabei sind einige Vorwürfe ungerecht. So ist ihre Haltung, alles umfassend aufklären zu lassen, bevor man eilige Schlüsse zieht, ja nicht verkehrt. Und es ist auch eine Tatsache, dass die Länder die Lebensmittelkontrolle organisieren, nicht der Bund. Allerdings sollte das eine Bundesministerin nicht davon abhalten, eine eigene Meinung zu haben und auch zu äußern. Sie hat es ihren Kritikern leichtgemacht. Auch durch ungeschicktes Verhalten in der Vergangenheit.
Ministerin ohne Gesetze
Ein großes Problem ist der Zuschnitt des Ministeriums. Als Ressortchefin für den Verbraucherschutz muss sie die Interessen der Verbraucher vertreten, ist aber fast nie selbst zuständig für ein eventuelles Gesetzesvorhaben. Egal ob es um Anlegerschutz, Datenschutz, Telefonbetrug oder Fahrgastrechte geht, immer lag die originäre Zuständigkeit bei einem anderen Ministerium. Aigners Vorgänger Horst Seehofer (CSU) verstand es, damit zu werben, dass er sich bei diesen Ministerien für die Interessen der Verbraucher einsetzte. Aigner dagegen erweckte durch vollmundige Ankündigungen den Eindruck, sie wolle jeweils selbst ein Gesetz auf den Weg bringen - und hat sich deshalb den Ruf der Ankündigungsministerin eingeheimst. Dass es auch ihrem Druck auf die Kabinettskollegen zu verdanken ist, wenn einiges vorangekommen ist, geht da schnell unter.
Doch es gibt noch einen anderen Punkt, der es Kritikern leichtmacht. Sie lässt keine Vision erkennen, weder zum Verbraucherschutz noch zur Zukunft der Landwirtschaft. Wer sie nach letzterem fragt, bekommt zu hören: "Ich bin für eine flächendeckende, aber auch flächenbezogene Landwirtschaft." Es ist ein Satz, der niemandem weh tut - mit dem sie aber auch nichts und niemanden erreicht. Für sie hat eine Ministerin eine Moderationsrolle. Sie spricht mit der Agrarindustrie genauso wie mit den Kleinbauern und übernimmt dann eine Position in der Mitte. Das aber ist nicht automatisch immer die beste Position.
Dienstagabend, 22:22 Uhr. Der Spießrutenlauf für Ilse Aigner ist noch nicht zu Ende. Jetzt fragt Moderator Tom Buhrow in der ARD zwar nicht aggressiv, aber umso hintergründiger. Warum erleben wir Sie als Verbraucherschutzministerin nicht sehr viel wütender in diesen Tagen, will er wissen. Aigners Antwort: "Ich bin auf alle Fälle total enttäuscht, dass überhaupt dieser Sachverhalt zustande gekommen ist."