IG Metall:Von der Wahl zur Qual

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Ein schönes Ergebnis: Für Jörg Hofmann stimmen mehr als 90 Prozent der Delegierten - zählt man die Enthaltungen nicht mit. Weniger schön dagegen: Auf den neuen Chef der größten deutschen Einzelgewerkschaft wartet gleich der VW-Skandal.

Von Detlef Esslinger, Frankfurt

Wer 420 von 478 Stimmen erhält, der hat nach den auch in der Gemeinde Oppelsbohm gültigen Regeln der Mathematik ein Ergebnis von 87,9 Prozent erzielt. Aber das macht keine Partei und keine Gewerkschaft: bei Wahlen die Matheregeln so genau einhalten. Jörg Hofmann, vor knapp sechs Jahrzehnten in Oppelsbohm bei Stuttgart geboren, ist am Dienstag in Frankfurt zum Ersten Vorsitzenden der IG Metall gewählt worden. Vor der Ermittlung der Prozentzahl streichen Parteien und Gewerkschaften stets die Enthaltungen; im Fall von Hofmann muss man dadurch all die Ja-Stimmen nicht mehr durch 478 teilen, sondern nur noch durch 460. Die Folge: Aus einem sehr guten Ergebnis wird ein sehr, sehr gutes: 91,3 Prozent. Und der berauschte neue Chef kann ans Pult treten und auf die Frage, ob er die Wahl annimmt, übermütig antworten: "Soll ich euch überraschen?"

Die Basis hat schon manchen Kandidaten abgestraft. Diesmal meint sie es gut mit Jörg Hofmann

Bei der IG Metall dürfen die Kandidaten nicht immer von einer harmlos verlaufenen Debatte auf ein freundliches Wahlergebnis schließen; manchmal drücken die Delegierten mit dem Stimmzettel aus, was sie am Rednerpult nicht sagen möchten. Diesmal aber war alles gut. Christiane Benner, die neue Zweite Vorsitzende, und Jürgen Kerner, der wiedergewählte Hauptkassierer, erhielten sogar noch mehr Stimmen als Hofmann: 429 und 467. Kerner ist in der Organisation beliebt wie Freibier; Benner wird erstens geschätzt, und zweitens sollte die erste Frau so weit vorne im traditionellen Männerladen IG Metall mit einem gute Laune stiftenden Ergebnis ausgestattet werden. In ihrer Dankesrede durfte sie sich sogar eine kleine Anmaßung erlauben. "Das macht mich so stolz, es als erste Frau an die Spitze der IG Metall geschafft zu haben", sagte die neue Zweite Vorsitzende. Der Erste Vorsitzende ließ es ohne erkennbare Eifersucht geschehen. Und in vier Jahren darf sie ihn vielleicht ablösen.

Davon abgesehen hatte sich die Spitze der IG Metall für den dritten Tag ihres Kongresses noch eine dialektische Aufgabe gestellt: endlich ausführlich etwas zu VW zu sagen, ohne es im Angesicht von Kameras zu sagen. Die Lösung war, dass Hofmann und VW-Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh am Nachmittag im Pressezentrum plötzlich eine gemeinsame Erklärung der Gewerkschaft und des Gremiums verteilen ließen. Darin wiesen sie die These zurück, bei VW mehr zu sein als Arbeitnehmervertreter: "Wir sind keine Co-Manager, aber wir managen die Interessen unserer Kolleginnen und Kollegen." Von dieser Form der "qualifizierten Mitbestimmung" würden sie nicht abrücken.

Als Co-Manager wurden die Gewerkschafter auch deshalb wahrgenommen, weil sie öffentlich den Eindruck erweckten, Bewunderer des Eigners Piëch und des langjährigen Vorstandschefs Winterkorn zu sein. Nun wollten sie den Eindruck erwecken, dass der Eindruck falsch war. Konzernbetriebsrat und IG Metall setzten sich "schon seit längerem" dafür ein, "dass sich Volkswagen hinsichtlich seiner Führungs- und Entscheidungsstrukturen verändern muss", steht in ihrer Erklärung. Die "starre Hierarchie", sei durch "flachere und durchlässigere Strukturen" zu ersetzen.

© SZ vom 21.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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