Horst Seehofer:Nützlicher Gehilfe

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Der Bundesinnenminister hält Migration für "die Mutter aller Probleme". Damit beleidigt er die Zugewanderten - und befeuert die Propaganda von Rechtsextremen. Statt dessen sollte er sich Neonazis und ihren Mitläufern entgegenstellen.

Von Constanze von Bullion

Dreizehn Tage sind vergangen, seit ein Mann in Chemnitz erstochen wurde. Tatverdächtig sind Asylbewerber, und aus Wut darüber haben sich die Hooligans der Stadt zum Krawall bei hitlergrüßenden Bürgern untergehakt und AfD-Politiker bei Neonazis. Die Polizei? Mindestens überfordert. Das zivile Publikum? Größtenteils entsetzt. Und der Bundesinnenminister? Eierte herum, als dürfe er nicht sagen, was er gern sagen würde. Nun aber hat Horst Seehofer Klarheit geschaffen. Migration sei "die Mutter aller Probleme", gab er bei einer CSU-Klausur in Neuhardenberg zum Besten. Verheerender kann sich ein Regierungsmitglied kaum äußern.

Nun kann man Horst Seehofer nicht vorwerfen, er habe sich im Streit um die Ereignisse in Sachsen nicht um eine ausgereifte Bewertung bemüht. Das hat er. Ausgiebig sogar. Erst schwieg er tagelang zur rechten Randale, weil er noch Informationen aus erster Hand brauche. Zum rundum missglückten Polizeieinsatz: kein Wort. Dann sprach er der Familie des Toten in Chemnitz sein Mitgefühl aus und verschanzte sich hinter einem Einerseits-andererseits, das großzügig interpretierbar war. Auch Extremisten können sich seither von Horst Seehofer verstanden fühlen.

Einerseits habe er Verständnis für die Wut der Bürger, erklärte der Minister. Für welche Bürger genau, ließ er offen. Andererseits, so versicherte er bei der CSU-Klausur, gelte bei Gewalt "null Toleranz". Das Entscheidende aber hat der Minister gemieden: die direkte Konfrontation mit Neonazis und den Sicherheitsrisiken von rechts außen, die im Gewand des Parlamentariers daherkommen.

Seehofers Stellungnahmen zum Vormarsch der Radikalen, die zumeist von Journalisten erfragt werden mussten, gleichen einem mäandernden Gewässer, das schlechter riecht, je weiter es fließt. Immer stärker dringt da durch, was der Minister nicht sagen soll - schon der Kanzlerin wegen - dann aber doch nicht für sich behalten kann: dass er im Zugewanderten den Kern des Übels zu sehen scheint, im Fremden, der in Seehofers Deutschlandfilm bestenfalls für die Rolle des Schurken vorgesehen ist.

Anders jedenfalls kann man den Satz nicht verstehen, die Migration sei die Mutter aller Probleme in Deutschland. Ein Satz ist das, so falsch wie unverantwortlich. Gäbe es eine Mutter aller politischen Probleme, wäre das die Tatsache, dass Kriege, Armut, Korruption und anhaltende Unterdrückung Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat bewegen. Dass sie in Städten wie Chemnitz landen, ist Folge, nicht erster Auslöser der Probleme. Wer aber Migration, mithin alle Migrierten, als Ur-Übel globalisierter Gesellschaften bezeichnet, befeuert die Propaganda von Rechtsextremisten.

Nein, Seehofer will die AfD nicht unterstützen, er will ihr Wähler abjagen, gewiss. Aber was da immer lauter aus ihm herausdrängt, ist geeignet, den Fremdenhass in Deutschland weiter zu legitimieren. Der Bundesinnenminister muss sich unmissverständlich von all denen abgrenzen, die inzwischen die größte politische Gefahr für die Demokratie darstellen. Sie stehen rechts außen, leider auch in der Polizei, und treten Monat für Monat selbstbewusster auf. Die neuen deutschen Faschisten und ihre Mitläufer betrachten Horst Seehofer längst als nützlichen Gehilfen. Will er das nicht sein, muss er sie endlich in die Schranken weisen.

© SZ vom 07.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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