Hongkong:Zum Schweigen gebracht

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Für Hongkongs Bürger gebe es nur zwei Möglichkeiten, hat der Medienunternehmer Jimmy Lai im Juni gesagt: auswandern oder kämpfen. Er entschied sich für kämpfen und wurde nun festgenommen. (Foto: Tyrone Siu/Reuters)

Die Polizei nimmt den Medienunternehmer Jimmy Lai fest, ihm wird "Komplizenschaft mit ausländischen Mächten" vorgeworfen. Auch eine bekannte Demokratie-Aktivistin wird festgenommen.

Von Lea Deuber, Peking

In Kisten schleppten Hunderte Polizisten am Montag Unterlagen aus den Räumen der Hongkonger Mediengruppe Next Digital, in denen auch die zweitgrößte Zeitung der Stadt, Apple Daily, sitzt. Per Liveübertragung aus den Redaktionsräumen schauten Tausende Hongkonger zu, wie die Beamten Tische und Schränke von Journalisten der Zeitung durchwühlten, die sich für mehr Demokratie einsetzt. Vor der Tür erklärte noch ein leitender Beamte, es würden keine Unterlagen von Journalisten beschlagnahmt, lediglich Dokumente der Mediengruppe.

Wonach die Beamten suchten, war zunächst unklar. Die Durchsuchung erfolgte nur wenige Stunden nach der Festnahme des Unternehmensgründers Jimmy Lai. Der 71-Jährige wurde am Montagmorgen zunächst aus seinem Haus im Stadtteil Kowloon abgeführt, dann in die Zentrale seiner Firma gefahren und dort später mit den Händen auf dem Rücken aus den Büroräumen in ein Auto gebracht und weggefahren. Dem Medienunternehmer und Aktivisten werden geheime Absprachen mit Kräften im Ausland, Betrug und andere Verstöße vorgeworfen. Er sei wegen der "Komplizenschaft mit ausländischen Mächten" festgenommen worden, erklärte ein Mitarbeiter von Lai am Montag auf Twitter.

Offen blieb, wie die Vorwürfe gegen Lai konkret formuliert sind. Außer ihm wurden auch seine beiden Söhne Timothy und Ian sowie mehrere Mitglieder der Geschäftsführung in Gewahrsam genommen. Die Hongkonger Polizeibehörde teilte auf Twitter mit, dass zunächst sieben Personen im Alter zwischen 39 und 72 Jahren wegen des Verdachts auf Verstöße gegen das Sicherheitsgesetz festgenommen worden seien. Sie nannte aber keine Namen. Laut Mitarbeitern der Mediengruppe wurden auch andere Häuser von Angestellten durchsucht. Darunter das Haus eines Sohnes von Lai.

Die Polizei nahm auch die bekannte Aktivistin Agnes Chow sowie ihre Mitstreiter Wilson Li und Andy Li fest.

Er ist eines der bekanntesten Gesichter der Demokratie-Bewegung

Die Festnahme des bekannten Aktivisten Lai, der als scharfer Kritiker der chinesischen Führung gilt, ist ein Schlag gegen die demokratische Bewegung. Seit Jahren setzt sich der Unternehmer für mehr Demokratie in der chinesischen Sonderverwaltungszone ein. Er ist eines der bekanntesten Gesichter der Bewegung und nutzt seine Zeitungen, um politische Reformen in der Stadt zu fordern. Wiederholt hatte er in Artikeln und Anzeigen zu der Teilnahme an Protestmärschen im vergangenen Jahr aufgerufen. Bei Demonstrationen marschierte er zuletzt häufig in den vorderen Reihen mit und äußerte sich in internationalen Medien über die politische Lage.

Lai war bereits im Februar und im April festgenommen worden, weil er im vergangenen Jahr an nicht genehmigten Protesten teilgenommen hatte. Als Reaktion auf das Sicherheitsgesetz hatte er im Juni erklärt, es gebe nun nur noch zwei Möglichkeiten für die Hongkonger: entweder auswandern oder kämpfen. Er habe sich für Letzteres entschieden. Im Juni hatte er angekündigt, mit seiner erneuten Verhaftung zu rechnen. Er sei aber bereit, ins Gefängnis zu gehen. "Wenn es so weit ist, werde ich die Chance haben, Bücher zu lesen, die ich nie gelesen habe. Das Einzige, was mir bleibt, ist positiv zu sein", sagte Lai.

In Festlandchina wurde er immer wieder von den Staatsmedien angegriffen. Diese bezeichneten ihn als "Landesverräter" und warfen ihm vor, mit "ausländischen Kräften" Chaos in die Stadt zu tragen. Am Montag sprachen chinesische Medien davon, man sei "überglücklich" über die Festnahme des "Aufständischen". Zitiert wurde auch der frühere Hongkonger Regierungschef Leung Chun-Yin, der sagte, das Gebäude eines Mediums sei kein rechtsfreier Raum und auch kein Kolonialgebiet.

China steht seit Inkrafttreten des Sicherheitsgesetzes Ende Juni international in der Kritik. Das Gesetz soll sich gegen Aktivitäten richten, die China als subversiv, separatistisch oder terroristisch ansehen. Aus Sicht von Kritikern bedeutet das Gesetz faktisch das Ende des Prinzips "ein Land, zwei Systeme", unter dem die Stadt seit der Übergabe 1997 regiert wird. Dieses sichert den Bürgern weitrechende freiheitliche Grundrechte zu, die es in Festlandchina nicht gibt. Diese Autonomie gilt offiziell noch bis 2047 in der chinesischen Sonderverwaltungszone.

Der Wahlaufschub wurde mit dem Risiko durch das Coronavirus begründet

Oppositionelle sehen in dem Gesetz vor allem den Versuch, die demokratische Bewegung zu zerstören, die seit mehr als einem Jahr immer wieder Hunderttausende Aktivisten mobilisiert hat. Razzien wie die Durchsuchung am Montag seien darauf angelegt, unter dem Deckmantel des nationalen Sicherheitsgesetzes die Pressefreiheit und Stimmen von Dissidenten zu unterdrücken, erklärte die demokratische Civic-Partei am Montag.

Erst am Freitag hatten die USA Sanktionen gegen Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam und weitere Politiker in Kraft gesetzt. Lam war zuletzt wegen der umstrittenen Verschiebung der Wahl um ein Jahr heftig kritisiert worden. Sie hatte politische Motive dafür bestritten und den Wahlaufschub mit dem Risiko durch das Coronavirus begründet. Die Außenminister der USA, Großbritanniens, Kanadas, Neuseelands und Australiens forderten die Regierung in Hongkong am Sonntag gemeinsam dazu auf, die Wahl baldmöglichst durchzuführen. Dafür müssten auch die disqualifizierten Kandidaten wieder zugelassen werden, die Hongkongs Behörden kurz zuvor von der Wahl ausgeschlossen hatten. Nur so könne es eine Wahl geben, die "die demokratischen Rechte und Freiheiten" der Bürger Hongkongs respektiere. Die Einmischung Pekings nannten die Staaten "sehr besorgniserregend". Dadurch würden die Grundrechte der Bürger Hongkongs unterhöhlt, hieß es.

In Festlandchina nannten die Staatsmedien die Verhaftungen am Montag hingegen einen Beleg dafür, dass man sich von der internationalen Kritik nicht beeinflussen lasse. Der Chefredakteur der nationalistischen Global Times, Hu Xijin, bezeichnete diese als Beweis, dass Regierungsvertreter in Hongkong nun näher zu Peking rücken würden. "In der Zukunft werden Sanktionen die Herzen und Köpfe der gesamten Hongkonger Gesellschaft näher an das chinesische Festland bringen, und damit auch die Einheit Chinas stärken", kündigte er an.

© SZ vom 11.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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