Hongkong:Das Mädchen schlägt zurück

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Familiäre Gründe hielten sie von der Politik ab, doch nun will Agnes Chow in Hongkongs Parlament. (Foto: Tyrone Siu/Reuters)

Die Staatsmacht nahm sie lange nicht ernst - doch bald könnte Agnes Chow im Parlament sitzen: Die einstige Sprecherin der Regenschirm-Bewegung will Hongkongs jüngste Abgeordnete werden.

Von Kai Strittmatter, Peking

"Kleines Mädchen". So hat die Regierungschefin sie genannt, vor nicht ganz einem Jahr. An jenem Tag war die Studentin Agnes Chow 20 Jahre alt und protestierte gegen die Pläne des Hongkonger Establishments, einige frisch gewählte Abgeordnete wegen einer nicht ordnungsgemäß geleisteten Eidesformel aus dem Parlament zu werfen. Carrie Lam, die von Peking unterstützte 60 Jahre alte "Chief Executive" Hongkongs gab Agnes Chow vor laufenden Kameras einen Rat: "Sei nicht so radikal. Deine Mutter macht sich große Sorgen um dich."

Radikal? Agnes Chow schrieb anschließend: "Alles was ich wollte, war, dass die von den Hongkongern gewählten Abgeordneten im Parlament bleiben können. Ist das nicht die Basis der Demokratie?"

Heute ist Agnes Chow 21 Jahre alt - und vielleicht schon im März selbst Mitglied des Hongkonger Parlaments. Sie wäre dann die jüngste Abgeordnete aller Zeiten. Am Samstag erklärte Chow öffentlich ihre Kandidatur in Hongkong Island, dem Wahlbezirk im Herzen der Stadt. Dort, wo vor drei Jahren die Jugend bei der Regenschirmrebellion mit ihrem Ruf nach mehr Demokratie die Straßen Hongkongs besetzte und ihre politische Taufe erhielt.

Seit der Regenschirm-Bewegung von 2014 ist die Führung in Peking auf Kriegszug gegen alles, was zu sehr nach Hongkonger Eigensinn aussieht. Das demokratische Lager hat es seither noch schwerer - und vier der 2016 neu gewählten Abgeordneten mit Wurzeln in der Jugendbewegung verloren tatsächlich im vergangenen Juli ihr Mandat. Darunter auch Nathan Law, ein Freund und Mitstreiter von Agnes Chow. Law war bei seiner Wahl 2016 mit einer Rekordzahl von 50 000 Stimmen der damals jüngste jemals gewählte Abgeordnete Hongkongs geworden. Jetzt darf er nicht mehr antreten. Zusammen mit Joshua Wong, einem anderen jungen Star der Regenschirmbewegung, wartet Law im Moment auf einen Prozess und eine mögliche Haftstrafe. Laws Parlamentssitz aber wird im März bei einer Nachwahl neu vergeben - und Agnes Chow will ihn an seiner Stelle erringen. "Wir können es uns nicht leisten, Angst zu haben", sagte Chow der Nachrichtenagentur Reuters. "Die Leute denken, ihnen könne nichts passieren, wenn sie sich von der Politik fernhalten, aber das stimmt nicht mehr."

Tatsächlich hat sich Hongkong verändert. Mit der 1997 von China auf 50 Jahre hinaus versprochenen Autonomie der Stadt ist es nicht mehr weit her. Agnes Chow entdeckte die Politik als 15-Jährige für sich, sie schloss sich damals den Leuten um Mitschüler Joshua Wong an, die in der Schülergruppe Scholarism gegen eine patriotische Umgestaltung des Lehrplans im Sinne Pekings kämpften. 2014 dann gingen zur großen Überraschung der ganzen Welt Hunderttausende auf die Straßen, um für die Direktwahl des Regierungschefs zu demonstrieren. Mit Regenschirmen verteidigten sie sich gegen das Tränengas der Polizei, so erhielt die Bewegung ihren Namen. Und Agnes Chow war mit einem Mal eine der Sprecherinnen der Bewegung, eine viel interviewte Stimme - bis sie sich überraschend zurückzog. Sie fühle sich "verloren und erschöpft", teilte sie damals mit. Der South China Morning Post erzählte sie diese Woche, dass es Konflikte in ihrer Familie gegeben hatte. Die Eltern - Hongkonger Geschäftsleute mit britischen Pässen - hätten sie angefleht, Hongkong zu verlassen. Die Eltern hatten Angst, Peking werde Soldaten schicken.

Diesmal, sagte sie, habe sie das Einverständnis ihrer Eltern. Sie müsse einfach mehr Verantwortung übernehmen, nachdem "die Würde der Hongkonger mit den Füßen getreten" werde. Die Entführung einiger Buchhändler durch chinesische Agenten, die Absetzung ihrer Abgeordneten, all das hat nicht nur Agnes Chow erschreckt. In einer Umfrage der Universität Hongkong gaben zuletzt gerade noch 0,3 Prozent der befragten Hongkonger Jugendlichen an, sie sähen sich als "Chinesen". So wenige waren es noch nie. 70 Prozent wollten sich nur noch als "Hongkonger" bezeichnen. Agnes Chow ist Teil einer Generation, die Peking fast komplett verloren zu haben scheint.

© SZ vom 16.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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