Homeschooling:Am besten schneiden noch die Lehrer ab

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Leeres Klassenzimmer in Zeiten von Homeschooling. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Für effektiven Distanzunterricht wurde kaum dazugelernt seit dem ersten Lockdown: Die technische Ausstattung der Schulen lässt immer noch stark zu wünschen übrig. Nur für das Engagement der Lehrerschaft gibt es Lob - ausgerechnet von Schülerseite.

Von Paul Munzinger, München

Doch, sagt Richard Gamp, es hat sich was getan seit den Schulschließungen im Frühjahr. Damals habe fast gar kein Unterricht stattgefunden, jetzt immerhin ein bisschen. Eine Steigerung, ohne Frage. Aber für Gamp viel zu wenig. Der 17-Jährige geht in die zwölfte Klasse des Humboldt-Gymnasiums in Berlin-Tegel und ist Vorsitzender des Landesschülerausschusses der Hauptstadt. "Erschütternd" fand er den Wiederbeginn im Distanzunterricht, "an den meisten Schulen läuft das Homeschooling überhaupt nicht", sagt er. Und es hat seine Laune nicht verbessert, dass auch an seiner Schule schon zwei Mal die Lernplattform den Geist aufgab.

Elf Monate nach Beginn des ersten Corona-Lockdowns erleben Deutschlands Schülerinnen und Schüler ein Déjà-Vu der unangenehmen Art: Sie verbringen ihre Schultage wieder am eigenen Schreibtisch. Und die Frage ist: Läuft der Distanzunterricht dieses Mal besser? Haben die Schulen dazugelernt? Hat die Politik ihre Hausaufgaben gemacht? Viele sehen die Lage positiver als Richard Gamp. Aber um an den Schulen jemanden zu finden, der Frage drei mit Ja beantwortet, müsste man wohl sehr lange suchen.

Während die Schule in Bayern oder Nordrhein-Westfalen am Montag wieder losging, gehört Berlin zu den Ländern, die schon auf zwei Wochen Unterricht im neuen Jahr zurückblicken. Und die hatten es in sich. Erst teilte Bürgermeister Michael Müller mit, dass Berlin sich an die Bund-Länder-Beschlüsse halten und seine Schulen bis Ende Januar schließen werde. Dann wollte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (beide SPD) die Abschlussklassen doch schon am 11. Januar wieder in die Schulen lassen, musste aber nach einem Sturm der Entrüstung ihren eigenen Vorstoß wieder kassieren. Zwei 180-Grad-Wenden in drei Tagen.

"Grausam", sagt Richard Gamp dazu, von der Kommunikation des Senats sei er "zutiefst enttäuscht". Bei Schülern, Lehrern und Eltern kämen kaum Informationen an. Die Schüler würden nicht eingebunden in politische Entscheidungen, im Berliner Hygienerat, dem auch Schülervertreter Gamp angehört, werde nicht diskutiert über Maßnahmen, sondern nur informiert. Kein Wunder, sagt Gamp, dass in Berlin oft Schulpolitik gemacht werde, "die an der Realität vorbeigeht".

Versäumnisse reichen viele Jahre zurück

Die Weihnachtsferien, sagt Gamp, habe der Senat ebenso wenig genutzt, um die Schulen auf die neuen Herausforderungen vorzubereiten, wie zuvor die Sommer- und die Herbstferien. Die Lehrer hätten besser fortgebildet, die digitale Ausstattung der Schulen weiter ausgebaut, das Durcheinander bei den Lernplattformen entwirrt werden müssen. Für die vielen Kinder und Jugendlichen, die in Berlin zu Hause kein funktionierendes Homeoffice vorfinden - "in Berlin lebt jedes dritte Kind in Armut", sagt Gamp -, hätte die Regierung mehr tun sollen. "Punktuell" sei einiges passiert seit dem ersten Lockdown, an seiner Schule etwa haben alle Lehrer ein Tablet bekommen. Aber ob etwas vorangeht, hänge vom Engagement der jeweiligen Schulleitung ab.

Unter den Lehrern sei die "Unsicherheit enorm". Der Großteil mache "super Unterricht", aber 10 bis 15 Prozent, so Gamps Schätzung, machten zu wenig. Weitere 20 Prozent hätten sich komplett zurückgezogen. Er wisse von einem Lehrer, der für den gesamten Monat Januar ein Arbeitsblatt verschickt hat. Und während an seiner Schule täglich zwischen 8 und 15 Uhr Videokonferenzen angesetzt sind (von denen ein Drittel dann allerdings wegen technischer Probleme ausfielen), seien es an anderen Schulen nur sieben in einer ganzen Woche.

Dass nicht nur in Berlin, sondern auch in Niedersachsen oder Baden-Württemberg zum Start in den Distanzunterricht Lernplattformen einknickten, scheint Gamps düsteres Bild zu bestätigen. Britta Ernst, Bildungsministerin in Brandenburg und seit Donnerstag Präsidentin der Kultusministerkonferenz, war angemessen schuldbewusst, als sie Anfang der Woche in den ARD-"Tagesthemen" darauf angesprochen wurde. "Was wir in den vergangenen fünf bis acht Jahren versäumt haben an Initiativen für die digitale Bildung, holen wir nicht in sechs bis neun Monaten auf", sagte die SPD-Politikerin. "Wir wären gern woanders."

61 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer gaben in einer Umfrage für das "Deutsche Schulbarometer" an, dass ihre Schulen technisch nach wie vor nicht gut auf Fernunterricht vorbereitet sind. Die Lage hat sich demnach im Vergleich zum April kaum verbessert, damals waren es 66 Prozent. Nur etwas mehr als ein Drittel der Befragten ist mit der Internetverbindung an ihrer Schule zufrieden, mehr als die Hälfte fühlt sich beim Thema Datenschutz nicht ausreichend informiert.

Lehrern profitieren inzwischen von ihren Erfahrungen

Doch wer sich in den Schulen umhört, stößt nicht nur auf Frust über die Technik, sondern auch auf vorsichtigen Optimismus. Lehrerinnnen und Schulleiter berichten, dass jetzt, anders als im Frühjahr, gerade mit jüngeren Schülern tatsächlich Unterricht möglich sei - man dürfe nur nicht erwarten, dass das Ergebnis gleichwertig zum Präsenzunterricht ist, sondern ein Notbehelf. Durch Videokonferenzen, die einen Stundenplan nachahmen, gelinge es, wieder Struktur und Verlässlichkeit in den Vormittag zu bringen, auch wenn die Kinder nicht im Klassenzimmer sitzen.

"Im Frühjahr hatten viele Lehrer gar keine Erfahrungen mit digitalem Unterricht", sagt Heinz-Peter Meidinger, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. "Alle wurden auf dem falschen Fuß erwischt." Seitdem aber habe sich unheimlich viel verändert. Die Lehrer profitierten von ihren Erfahrungen, tauschten sich besser aus. Der Distanzunterricht laufe strukturierter ab, die Anwesenheit werde kontrolliert, Leistungserhebungen seien möglich, zum Beispiel über Referate. Dass die Lernplattformen dem Ansturm der Schüler nicht immer gewachsen seien, solle man nicht überbewerten, findet Meidinger. In Bayern etwa nutzten viele Schulen längst eigene Lernsysteme - und seien unabhängig vom fehleranfälligen Mebis.

Dass Lehrerinnen und Lehrer abtauchten und ihre Schüler alleine ließen, wie es Richard Gamp aus Berlin berichtet, passiere nur noch in Einzelfällen, beteuert Meidinger. Das größte und nach wie vor ungelöste Problem des Distanzunterrichts ist aus seiner Sicht, dass die Schule zu manchen Schülern den Kontakt verliert - so wie im Frühjahr. Das drohe auch nun wieder, umso mehr, je länger der Lockdown dauere. "Diese Frage brennt", sagt Meidinger, "und sie lässt sich auch durch die beste digitale Ausstattung nicht lösen."

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