Katastrophenschutz:Die Lehren aus der Jahrhundertflut von 2002

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Im August 2002 raste das Wasser durch Grimma, dieser Mann rettete einen Einwohner aus den Fluten. Die Stadt zog daraus Konsequenzen. (Foto: Peter Endig/dpa)

Nach der Hochwasserkatastrophe in Sachsen hat ein umfangreicher Bericht Mängel aufgelistet. Vieles davon kommt einem auch jetzt wieder bekannt vor.

Von Peter Fahrenholz, München

Wenn es darum geht, Konsequenzen aus großen Flutkatastrophen zu ziehen, ist in den Augen von Matthias Berger Zeit das wichtigste Kriterium. "Du musst das ganz schnell durchziehen", sagt der parteilose Oberbürgermeister von Grimma. Denn es gebe in solchen Fällen eine "Hochwasserdemenz". Nach ein paar Jahren sei die Flut vergessen und die Bereitschaft, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, nur noch gering. Die sächsische Stadt mit ihren heute fast 30 000 Einwohnern war von der sogenannten Jahrhundertflut im Jahr 2002 besonders schwer betroffen. Sie erlangte auch dadurch bundesweite Aufmerksamkeit, dass der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sichtlich erschüttert in Gummistiefeln durch den Ort gestapft war.

Und sind die notwendigen Konsequenzen nach der verheerenden Flut tatsächlich gezogen worden? Sind Mängel behoben und Änderungen im Management des Katastrophenschutzes vorgenommen worden? Wer den entsprechenden Untersuchungsbericht aus Sachsen aus dem Jahr 2002 heute noch einmal liest, kommt zu einem zwiespältigen Schluss. Denn manches, was damals angeregt wurde, ist beim verheerenden Hochwasser in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen von Betroffenen und Hilfskräften immer noch als Manko beklagt worden.

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Der federführende Autor forderte schon vor 19 Jahren Warnungen durch Sirenen

In Sachsen hatte damals eine Kommission unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundeswehrgenerals Hans-Peter von Kirchbach auf insgesamt 252 Seiten die Flutkatastrophe akribisch aufgearbeitet. Der Bericht, dem man an vielen Stellen den Duktus eines erfahrenen Offiziers anmerkt, hat zahlreiche Mängel aufgelistet und eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen gemacht. Vieles davon fehlt bis heute oder funktioniert noch immer nicht richtig.

So kommt der Bericht beispielsweise zu dem Schluss, dass die Warnung der Bevölkerung "unüberhörbar" sein müsse. Deshalb sei "das Mittel der ersten Wahl die Sirenenwarnung". In den meisten Bundesländern sei aber kein Sirenensystem mehr vorhanden, "wohl aus Kostengründen", wie es im Bericht heißt. In Grimma war man klug genug, sich wieder eine moderne Sirenenanlage anzuschaffen. Sie kann 14 Tage lang stromunabhängig arbeiten. "Die Sirene ist das einzig wirksame Instrument, um die Leute flächig zu warnen", sagt Oberbürgermeister Berger. "Wenn die ertönt, sollen die Leute ans Fenster gehen und auf Durchsagen warten."

Ein anderer Schwachpunkt waren damals die Kommunikationsnetze. Das Festnetz brach ständig wegen Stromausfällen zusammen, auch das Mobilfunknetz fiel immer wieder aus und wenn es funktionierte, war die Leistungsfähigkeit begrenzt, weil die Handy-Akkus für ihre Aufladung nun mal auch Strom brauchen. Das herkömmliche analoge Funknetz hatte gerade in Tallagen zu viele Funklöcher, zudem waren die Funknetze von Bundeswehr und zivilen Stellen nicht kompatibel, sofern Letztere überhaupt über genügend Funkgeräte verfügten.

Der Bericht schlug deshalb die Einführung eines leistungsfähigen Digitalfunks vor. Den gibt es zwar inzwischen, aber leistungsfähig ist er offenbar nicht. In den betroffenen Gebieten war immer wieder die Rede davon, dass der Digitalfunk ausgefallen sei. Auch die Handynetze sind noch immer nicht gegen Ausfälle geschützt, wie es die Kirchbach-Kommission damals gefordert hatte.

Neubauten in Hochwassergebieten müssten "strikt unterbleiben", heißt es im Bericht

Auch ein anderer problematischer Punkt wird bis heute von vielen Kommunen nicht ernst genug genommen, weil er großes Konfliktpotenzial mit der einheimischen Bevölkerung birgt: das Verbot einer Bebauung von kritischen Zonen, die als Überschwemmungsgebiete gebraucht würden. Die Kommission hat damals verlangt, Neubauten in Hochwassergebieten müssten "strikt unterbleiben". Der Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter (CSU) hat bei dem verheerenden Hochwasser in Bayern im Jahr 2013 erlebt, wie strittig es ist, wenn in bereits ausgewiesenen Baugebieten die Baugenehmigung aus Gründen des Hochwasserschutzes nicht erteilt wird. Er habe da mit den Betroffenen "riesige Schwierigkeiten" gehabt, sagt Bernreiter am Telefon.

Auch eine andere Forderung der sächsischen Kommission ruft bis heute politischen Streit hervor. Der Bericht hatte damals die Aufteilung der Verantwortlichkeiten zwischen dem Bund (zuständig für den Zivilschutz) und den Ländern (zuständig für den Katastrophenschutz) als "nicht mehr sachgerecht" kritisiert und eine "koordinierende Rolle des Bundes für erforderlich" gehalten. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will dagegen grundsätzlich am föderalen System festhalten und hat die Kritik der Opposition vehement zurückgewiesen. Mehr Koordination von Bund und Ländern kann er sich aber schon vorstellen.

Wie wichtig es ist, nach einer Katastrophe schnell zu handeln, hat wiederum Grimma bewiesen. Dort wurde nach der Jahrhundertflut für 62 Millionen Euro, die aus Fördermitteln von Bund, Land und EU stammten, eine Hochwasserschutzanlage gebaut. "Die modernste der Welt", wie der Bürgermeister stolz betont. Sie hat die Stadt, obwohl damals noch nicht ganz fertig, im Jahr 2013 vor dem nächsten großen Hochwasser weitgehend geschützt. Die aufwendige Anlage mit unterirdischen Mauern und insgesamt 78 Verschlusselementen schirmt den in einer Senke gelegenen historischen Stadtkern ab und ist für ein 100-jähriges Hochwasser ausgelegt. 2002 kann sich in Grimma nicht wiederholen.

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