Helmut Kohl:"Da liegt er!"

Lesezeit: 3 min

Bis zum nächsten Grab, schräg links hinterm Zaun, sind es zehn Meter: Helmut Kohls Ruhestätte an der Grenze zwischen Friedhof und öffentlichem Park. (Foto: Ulrich Roth/imago)

Speyer und die Pfalz haben eine neue, ziemlich riesige Sehenswürdigkeit: ein Nachmittag mit Besuchern am Grab des früheren Bundeskanzlers.

Von Detlef Esslinger, Speyer

Opa und Enkel nähern sich dem Grab. Der Enkel fragt: "Warum ist das Grab so groß?" Der Opa antwortet: "Weil er ein Riese ist."

Seit dreieinhalb Wochen ist Helmut Kohl nun beerdigt, seit dreieinhalb Wochen hat Speyer eine zusätzliche Sehenswürdigkeit. Vom Dom sind es 20 Minuten zu Fuß; die Große Himmelsgasse entlang und dann immer weiter, am Finanzamt vorbei, bei der "Currysau" schließlich quer über die Straße. Kohl liegt hinter der "Friedenskirche St. Bernhard", das Grab findet man, ohne danach suchen zu müssen.

Es ist ein Riesengrab. Der Sargmacher, ein Mann aus Hamm, hatte seiner Lokalzeitung, dem Westfälischen Anzeiger, berichtet, dass er für Kohl das Modell "Eiche rustikal mit Buchdeckel" gebaut hat, 219 mal 92 Zentimeter groß; normal seien 200 mal 70. Ein Grab ist nicht unbedingt bloß eine Ruhestätte. Zumindest dieses hier will auch ein Dokument sein: Weil Kohl ja nicht ins Familiengrab in Ludwigshafen sollte oder wollte, wurde dieser Platz ausgesucht; wo es sich aber in die Umgebung weder einfügt noch einfügen will, im Unterschied zu den Gräbern andernorts von Adenauer, Brandt und Schmidt.

Es ist ein Solitär, zehn Meter weg von den nächsten Reihengräbern der Domdekane und Domkapitulare, die ansonsten hier beerdigt sind, und es ist das einzige Grab, das nicht zur Kirche hin ausgerichtet ist, sondern zu dem Park nebenan. Das Kreuz ist mindestens doppelt so hoch und so schwer wie ein normales. Ums eigentliche Grab sind Steinplatten verlegt, und indem die Stadtgärtnerei einen Metallzaun gezogen hat, weil dies der Witwe wichtig war, hat sie die Stätte nochmals vergrößert. Es wäre jetzt Platz für noch drei oder vier Särge aus Hamm; theoretisch. Der Zaun soll einerseits eine Hemmschwelle bilden, wie aus dem Rathaus zu hören ist; man weiß ja nie, auf was für Ideen die Leute im Selfie-Zeitalter so kommen. Andererseits: Ist er, samt Tür und Schloss an der Seite, nicht eine Idee, selbst post mortem noch den früheren Kanzler irgendwie abzuschirmen? Bei Helmut Schmidt kann jeder, der mag, eine Kerze hinstellen. Bei Helmut Kohl befiehlt ein Schild am Zaun: "Blumen, Kränze und Kerzen links und rechts außerhalb der Grabstätte ablegen."

Bisher zeigen die Besucher Zurückhaltung, in jeder Hinsicht. Fast alle machen an diesem Nachmittag natürlich ihr Foto, kaum, dass sie da stehen. Doch manche Männer ziehen sogar ihre Mütze ab, manche Frauen falten die Hände zum Gebet; selten, dass sich eine Familie laut unterhält. Ein Vater, wie er das Grab erblickt: "Helmut Kohl!" Mutter: "Da liegt er!" Sohn: "Schade, dass er schon gestorben ist." Vater: "Geh'ma weiter." Die Zahl der Kerzen, links der Grabstätte, beträgt zwei; Blumentöpfe: einer; Kränze: null.

Unterm Tannenbaum sitzt der Wachmann, hat aber nichts zu tun

Ein alter Spruch lautet, dass jede Geschichte drei Seiten hat: eine gute, eine schlechte und eine komische. Die lustigste Anekdote von der Kohl-Beerdigung stand neulich in der Rheinpfalz. Deren Reporter hatte die Kränze besichtigt, die links und rechts sowie auf der Wiese gegenüber lagen (aufs Grab selber durfte bloß der Kranz der Witwe). Es lag da nicht nur der Kranz der Kanzlerin, der des 1. FC Kaiserslautern oder der von Dieter Thomas Heck und Familie. Es lag auch einer vom Spiegel da. "In stiller Trauer." Echt? "Ja, wir waren das!", sagte eine Sprecherin des Magazins, als der Rheinpfalz-Reporter sie anrief. Kohl hatte in den Neunzigern die Kranzschleifen für Adenauer gesehen. Eine war von Rudolf Augstein, dem Spiegel-Gründer. Seit 1976 hatte Kohl dessen Blatt boykottiert, eines schien ihm also klar zu sein: "Na, von dem kriege ich bestimmt keinen Kranz." Worauf der Mann ihm schrieb: "Sie kriegen auch einen." Augstein ist seit 15 Jahren tot, aber den Kranz schickte der Spiegel trotzdem. In den Worten der Sprecherin: "Wir halten unsere Versprechen."

Die Kränze sind längst alle weg, Maike Kohl-Richter hat fürs Erste eine Kiefernplatte aufs Grab legen lassen, bei der Wahl des Steins wird der Dombaumeister sie beraten. Läge Helmut Kohl in Ludwigshafen, im Familiengrab, hätte sie nur den Namen eingravieren lassen müssen, in den dort vorhandenen Stein. Der gesparten Mühe stünde allerdings möglicherweise ein erheblicher Nachteil gegenüber; eine Besucherin erahnt ihn jedenfalls. Sie wendet sich an den Wachmann, der ebenfalls von der Witwe engagiert worden ist; die Stadtverwaltung Speyer war der Meinung, Bewachung brauche es nicht.

Der Wachmann hat es sich auf einem Klappstuhl unter der Tanne gegenüber eingerichtet. "Weil die Friedhofsruhe von unserem Kanzler bisher gewahrt worden ist", wie die Besucherin richtig sieht, musste der Mann noch nie eingreifen. Er kann sich damit beschäftigen, derjenige zu sein, den man anquatschen kann. Es sei gut, dass Kohl hier ist, sagt ihm die Frau, und nicht im Familiengrab: "Dort wär' ja jetzt doch viel Unruhe drin."

© SZ vom 27.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: