Hass auf Walter Lübcke:Viele wünschten ihm den Tod, einer drückte schließlich ab

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Ein Schild bei einer Demonstration in Hamburg gegen rechte Hetze: Wie kann das durchgesetzt werden? (Foto: imago images / Jannis Große)

Ja, es gibt einen Zusammenhang zwischen dem, was man im Netz über Walter Lübcke lesen muss, und seiner Ermordung. Die Gefährlichkeit von Hass-Posts muss neu vermessen werden.

Kommentar von Georg Mascolo

Walter Lübcke ist tot, ein Mann, der diesem Staat diente, bis ihn auf seiner Terrasse eine Kugel in den Kopf traf. Es gibt ein Geständnis des mutmaßlichen Mörders, Stephan E. Und doch stehen die Ermittlungen erst am Anfang. Alles andere wäre auch unerträglich.

Denn diese Ermittlungen müssen weit mehr als die Frage beantworten, ob Stephan E. - wie er behauptet - wirklich alleine handelte. Sie müssen die Frage beantworten, wieso ihn niemand stoppte, warum niemandem auffiel, dass ein vielfach vorbestrafter Rechtsextremist mit ausgeprägter Neigung zur Gewalt im Internet drohen und bedrohen konnte, ohne dass jemand einschritt. Stephan E. schrieb etwa: "Entweder diese Regierung dankt in Kürze ab, oder es wird Tote geben." Er nannte Lübcke einen Verräter. Und niemand, nicht der Verfassungsschutz oder die Polizei sahen hin, standen vor seiner Tür, ermahnten ihn, stuften ihn angesichts seiner Gewalthistorie womöglich auch als Gefährder ein. Auch die Justiz hat offenbar nicht gegen ihn ermittelt.

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Auch muss die Frage beantwortet werden, warum es neben Stephan E. so viele andere geben konnte, die sich straffrei an dieser Hetze beteiligten. Das verstörende Ausmaß lässt sich in den Kommentaren unter dem Youtube-Video des inzwischen berühmt gewordenen Auftritts von Lübcke im Oktober 2015 anschauen. Es ist bestürzend. Und es geht selbst nach dem Tod so weiter.

Leider sind einige Antworten auf diese Fragen bekannt. Die Verfolgung solcher Straftaten im Netz war jahrelang ein Stiefkind der Justiz, man nahm sie an viel zu vielen Orten kaum ernst. Staatsanwälte wurden von Kollegen belächelt: Es gebe schließlich keine Haftstrafen, keine spektakulären Erfolge, nur Geldstrafen, Auflagen, Bewährungsstrafen, verhängt von Amtsgerichten.

Die meisten in diesen virtuellen Hassgemeinschaften durften wegen dieser Untätigkeit darauf setzen, unbestraft davonzukommen. Wenn wir ehrlich sind, so sagen die Selbstkritischen in der Justiz, haben wir uns diese Klientel selbst mit herangezogen. Es ist, als würde man den Straßenverkehr nicht kontrollieren. Und sich dann wundern, wenn die Regeln nicht eingehalten werden. Hinzu kam, ebenfalls viel zu lange, der Widerwille der Internetkonzerne, Verantwortung für das zu übernehmen, was sich da auf ihren Plattformen tut. Aber keine Verantwortung zu übernehmen ist immer falsch. Sie geloben Besserung. Doch ein Blick auf die Kommentare unter dem Lübcke-Video zeigt, dass immer noch zu wenig geschieht.

Zugegeben, die juristischen Hürden sind oft hoch, Meinungsfreiheit besitzt zu Recht einen herausragenden Stellenwert. Robuste Auseinandersetzungen sind gut und notwendig. Aber blanker Hass trägt niemals zur Meinungsbildung bei. Wahr ist auch, dass manche von denen, die in diesen Tagen beklagen, dass etwa das Netzwerkdurchsetzungsgesetz nicht noch entschiedener gegen rechte Parolen angewendet wird, in der Vorschrift vor Kurzem noch nur ein Zensurgesetz sahen.

Hängt ihn auf, ist nicht konkret genug

Besonders schwer tut sich die Justiz damit, bei Äußerungen eine konkrete Bedrohung oder eine Aufforderung zu Straftaten anzunehmen. Noch nicht einmal die bei Pegida-Veranstaltungen gezeigten Galgen für Angela Merkel und Sigmar Gabriel genügten dafür in Sachsen. Es könne ja auch nur "quasi symbolisch" um den "politischen Tod" gehen, befand die Staatsanwaltschaft in Chemnitz. Es gibt Hunderte solche Entscheidungen. Sofort erschießen, hängt ihn auf, stellt sie an die Wand: Alles nicht konkret genug. Es ist ja kein Tatort, kein Tatzeitpunkt genannt.

Aber aus Hass wird Gewalt, so war es immer. So ist es heute wieder. Die Betrachtungen, was gefährliche Rede, was eine Drohung ist, stammen allzu oft noch aus der analogen Welt. Einmal gesagt, aber doch schnell wieder verschwunden. Pöbler werden schon keine Mörder, das ist der Irrglaube. Heute muss die Gefährlichkeit neu vermessen werden. Selbst was an einem Ende der Welt gepostet wird, kann zu Konsequenzen an einem weit entfernten Ort führen. Und es bleibt ewig, es verschwindet nicht und kann seine schreckliche Wirkung erst Jahre später entfalten. Ja, es gibt einen Zusammenhang zwischen dem, was man bis heute im Netz über Walter Lübcke lesen muss, und seiner Ermordung. Es waren viele, die ihm den Tod wünschten. Und einer, der schließlich abdrückte.

Glücklicherweise ändern sich die Dinge. Nun gibt es kaum eine Staatsanwaltschaft, die nicht verfolgen will, kaum einen Politiker, der dies nicht fordert. Die Justizministerkonferenz hat gerade mit Mehrheit beschlossen, die rechtlichen Anforderungen für Bedrohungen zu überprüfen. Gut so, aber auch die bisherigen Gesetze sind nicht schlecht. Sie sind nur nicht konsequent angewandt worden. Dies zu ändern, sollte jetzt sehr schnell gehen, mit den beträchtlichen Mitteln und Ressourcen dieses Rechtsstaats. Es darf keinesfalls so lange dauern, wie es dauerte, diese Gefahr nun endlich zu erkennen.

© SZ vom 28.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Für unseren Autor gibt es einen klaren Zusammenhang zwischen dem, was man im Netz über Walter Lübcke lesen muss, und seiner Ermordung. Im digitalen Zeitalter müsse konsequenter Mordaufrufe und Drohungen vorgegangen werden.

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