Seitdem am 26. Februar eine 15-jährige Schülerin einem Bundespolizisten ein Küchenmesser in den Hals gestochen hat, geht die Ermittlungsgruppe "Bahnhof" einer wichtigen Frage nach: Geschah hier, am Westausgang des Hauptbahnhofs in Hannover, ein Terroranschlag, eine von vielen und lange befürchtete Attacke einer religiösen Fanatikerin, die dem Aufruf des sogenannten Islamischen Staats folgte: Zuschlagen, wo immer es möglich ist, gegen wen auch immer?
Solche Anschläge hat es in vielen Ländern gegeben, oft werden Soldaten und Polizisten als Opfer ausgewählt. Die Tatausführung ist stets einfach: ein Messer, eine Axt oder eine Schusswaffe werden verwendet. Solche "Low Profile Attacken" gelten im Vorfeld als schwer zu entdecken, die Amerikaner nennen es den "Do-it-yourself-Dschihad". 90 Prozent der Täter sind männlich und im Schnitt 26 Jahre alt. Ein 15-jähriges Mädchen gab es noch nie.
Und doch passt die Deutsch-Marokkanerin Safia S. auf den ersten Blick in dieses Profil; sie gilt als Anhängerin eines radikal-religiösen Gedankenguts, in Hannover verkehrte sie im vom Verfassungsschutz beobachteten "deutschsprachigen Islam-Kreis". Noch am Tag der Tat soll sie dort gewesen sein. Schon als siebenjähriges Kind ließ ihre Mutter sie an der Seite des Salafisten-Predigers Pierre Vogel Koranverse zitieren, im Januar reiste die Gymnasiastin nach Istanbul, offenbar um von dort nach Syrien zu gelangen. So jedenfalls schilderte es die Mutter am 22. Januar in einer Vermisstenanzeige bei der Polizei.
Safia S. wurde von der Mutter zurück nach Hannover geholt, seither ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen der "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat". Auch gegen einen ihrer Brüder wird ermittelt, er soll ebenfalls in die Türkei gereist sein und dort beim versuchten Grenzübertritt nach Syrien verhaftet worden sein. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass er bei einschlägigen Koran-Verteilungsaktionen in Hannover dabei war.
Sie soll die Polizisten regelrecht verfolgt haben
Einen Monat nach ihrer Rückkehr beging Safia S. die Tat. Angeblich hat sie, so soll es die Videoüberwachung belegen, die Polizisten im Bahnhof regelrecht verfolgt und so auf sich aufmerksam gemacht - bis die beiden sie ansprachen und kontrollieren wollten. Dann zog sie ein Messer, das sie im Ärmel versteckt hatte, und stach wortlos zu. Einer der Polizisten gab später an, so schnell sei dies geschehen, dass sie dies geübt haben müsse. Als der andere Polizist sie zu Boden rang, soll das Mädchen außer sich geraten sein, aber nur weil sie ihr Kopftuch verlor. Danach sei sie sehr ruhig und gefasst gewesen.
Die Ermittlungen werden von der Staatsanwaltschaft Hannover geführt, aber auch der Generalbundesanwalt hat sich die Akten vorlegen lassen. In manchen Medien in Hannover wird die Schülerin schon nur noch das "Terror-Mädchen" oder das "ISIS-Mädchen" genannt - würde sich der Verdacht erhärten, könnten die Karlsruher Ankläger übernehmen. Manches spricht dafür, vor allem die Auswertung einer riesigen Menge Whatsapp-Chats, die auf dem Handy der Schülerin sichergestellt wurden. Daraus ergibt sich, dass Safia S. womöglich in engem Kontakt zu einem anderen Hannoveraner Schüler stand, gegen den die Bundesanwaltschaft ermittelt.
Er war als Ordner bei dem im November wegen einer Terrorwarnung abgesagten Länderspiel im Stadion in Hannover eingesetzt, später soll er auf Instagram zwei Videos hochgeladen haben: Eines zeigt einen jungen Mann in einer Ordnerweste des Deutschen Fußball-Bundes in dem bereits geräumten Stadion. Zu hören sind die Worte "Pray for Raqqa" ("Bete für Raqqa") und die arabische Bezeichnung für den IS. Zudem fanden die Ermittler in den Chats eine Passage, die darauf hindeutet, dass das Mädchen eine Märtyrer-Operation begehen wolle, wenn sie nicht vor ihrer Mutter fliehen könne. War der Angriff auf den Polizisten also diese Märtyrer-Operation?