Hamburg:Zu große Freiheit

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Auch in der Hansestadt kam es in der Silvesternacht zu Übergriffen. Die Behörden wollen nicht nur aufklären, sondern auch den richtigen Ton treffen.

Von Thomas Hahn, Hamburg

In seinem Job als Hamburger Innensenator stellt Michael Neumann immer wieder fest, dass die großen Themen zum Spielball der Befindlichkeiten werden. Wild schlägt das Pendel der Emotionen aus, mal in die eine, mal in die andere Richtung, und er als Staatsvertreter muss dann schauen, wie er einen kühlen Kopf bewahrt. Vor der Silvesternacht forderten zum Beispiel besonders besorgte Hamburger, er möge ein Böller-Verbot rund um die Flüchtlingsunterkünfte der Hansestadt erlassen; Neumann verstand die Idee, aber so ein Verbot war nicht zu machen bei der großen Zahl an Unterkünften. Jetzt wiederum, da eine Horde krimineller Männer mit Migrationshintergrund in der Silvesternacht massenhaft Frauen sexuell belästigt hat, kommt es Neumann so vor, als stellten weite Teile der Gesellschaft Flüchtlinge unter Generalverdacht. Neumann findet diese Übertreibungen furchtbar. "Ich werbe für ein vernünftiges Maß der Mitte."

Auch Hamburg war betroffen von dieser Eskalation der Gewalt zum Jahreswechsel. Auf der Amüsierstraße Große Freiheit an der Reeperbahn ist es zu ähnlichen Szenen gekommen wie in Köln und Stuttgart. Die Aufarbeitung läuft, und dabei wollen Polizei und Innenbehörde nicht nur aufklären und die Täter ihrer Strafe zuführen. Sie wollen auch den richtigen Ton treffen zwischen Strenge und Bekenntnis zur Willkommenskultur. Dieser Eindruck ist zumindest am Donnerstagabend entstanden, als Neumann und Vertreter der Polizei vor dem Innenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft vom Stand der Dinge berichteten. Die Fraktionen trugen diese unaufgeregte Art mit. Es gab Sticheleien von rechts, vor allem von der AfD, aber im Grunde war die Aussprache sachlich. Man beschönigte nichts. Man dramatisierte nichts.

Auch die Hamburger Polizei kann nicht alle Kritik von sich weisen. In der Silvesternacht erkannte sie zwar, dass an der Großen Freiheit ein beispielloses Gedrängel herrschte. Vier Züge Polizisten marschierten auf und sperrten die Straße ab, damit die Menschenmenge nicht größer wurde. Aber von sexuellen Übergriffen merkten die Beamten nichts. "Uns ärgert das", sagt Polizeipräsident Ralf Martin Meyer. Zunächst gab es auch nur wenige Anzeigen, 14 insgesamt. Erst nachdem die Polizei am 4. Januar öffentliche Zeugenaufrufe lanciert hatte, wurden es rasant mehr. Die Polizei spricht von 306 betroffenen Frauen.

Die Sondermittler der Polizei haben vorerst acht Tatverdächtige ausfindig gemacht. Außerdem haben sie einen zweiten Kreis von 18 bis 20 Männern im Blick, denen sie aber noch keine konkreten Taten zuordnen können. Dass die Männer alle aus dem Flüchtlingsmilieu stammen, ist hingegen klar. Die Hamburger Polizei weiß nicht erst seit Silvester, dass es unter Flüchtlingen auch einige Kriminelle gibt. Innensenator Neumann findet das auch nicht ungewöhnlich. Ihm macht eher Sorge, dass mancher Deutscher seine radikale Toleranz in radikales Misstrauen verwandelt hat. "Wir müssen aufpassen", sagt er, "dass wir nicht vom einen Extrem ins andere wanken."

© SZ vom 16.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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