Hamburg:Achteinhalb Stunden

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Die Polizei schildert im Hamburger Innenausschuss Gewaltsituationen während der Demonstrationen gegen den G-20-Gipfel in der Hansestadt.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Christiane Schneider hat sich auf die Zunge beißen müssen beim ersten politischen Akt zur Aufklärung der gewaltsamen Geschehnisse beim G-20-Gipfel in Hamburg. Die Abgeordnete der Linkspartei erlebte die Sondersitzung des Innenausschusses in der Hamburgischen Bürgerschaft am Mittwoch in voller Länge. Von vier Uhr nachmittags bis halb eins in der Nacht lauschte sie den Ausführungen von Innensenator Andy Grote und der Polizei. Aber nach einer Stunde fand sie die Vorträge so langatmig, dass es ihr sinnlos erschien, den Verlautbarungen eigene Fragen entgegenzusetzen - mit dem Nachteil, dass sie auch stillhalten musste, wenn sie sich doch gerne gemeldet hätte. "Blöde Situation." Denn die Mammut-Sitzung ließ aus ihrer Sicht viele Fragen offen.

Die Aufregung nach den Gewaltexzessen beim G-20-Gipfel mit brennenden Autos, Plünderungen und Angriffen auf die Polizei legt sich nur langsam. Jeder versucht auf seine Weise, die Scherben des G-20-Geschehens aufzukehren. Am Donnerstag forderte zum Beispiel die Handelskammer vollständige Entschädigungen für Unternehmen, die beim G-20-Gipfel Schäden davontrugen. Und auch der Auftakt der politischen Aufarbeitung im Innenausschuss deutete darauf hin, dass es noch dauern wird, bis in Hamburg wieder Friede in den Seelen herrscht.

"Das diente der Verbreitung der Senatsmeinung", sagt Christiane Schneider. Tatsächlich war die Sondersitzung vor allem die Stunde der Polizei. Drastische Darstellungen der Ereignisse kamen zu Gehör. Auch die Demonstration "Welcome to hell" vom Donnerstag, welche die Polizei wegen Vermummungen in zwei Schwarzen Blöcken nicht loslaufen ließ, schilderten die Beamten in eindringlicher Dramatik ("Wir wurden von allen Seiten beworfen").

Kürzer angebunden war Einsatzleiter Hartmut Dudde dagegen, wenn von Abgeordneten der Regierungsparteien SPD und Grüne doch mal kritische Fragen zum Einsatz kamen. Warum Gerüste im Schanzenviertel nicht abgebaut waren, von denen aus Gewalttäter die Polizei behelligen konnten? Die Rechtsgrundlage dafür habe gefehlt, das gefährdete Gebiet sei zu groß gewesen, um alle Gerüste auszumachen.

Auch der Verdacht kam zu Sprache, die Polizei habe "Welcome to hell" ohne Auflagen bestätigt, um dort den Schwarzen Block zu stellen. "Es gab nie den Plan, den Aufzug nicht loslaufen zu lassen", sagte Dudde. "Auflagen können wir nur erlassen, wenn wir Hinweise auf Störungen haben." Nach der Lageanalyse des Landeskriminalamts gab es diese Hinweise aber.

Überraschende Erkenntnisse hat es aber auch gegeben. Joachim Ferk, Leiter der Hamburger Bereitschaftspolizei, berichtete, dass die prominenten Rote-Flora-Vertreter Andreas Beuth als Versammlungsleiter und Andreas Blechschmidt als Versammlungsanmelder bei der Demonstration "Welcome to hell" dem Schwarzen Block irgendwann scheinbar selbst nicht mehr trauten. "Der Leiter der Versammlung hat mich gebeten, dass wir die Versammlung seitlich begleiten", sagte Ferk, "das habe ich noch nie erlebt." Es klang, als seien ihm die Linksautonomen aus der Roten Flora in diesem Moment vernünftiger vorgekommen, als er sich das je hätte vorstellen können.

© SZ vom 21.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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