Hamas:Mann des Volkes

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Ismail Hanija bestimmt, was die Hamas im Gazastreifen zu tun und zu lassen hat. Hier jubelt er noch 2014 in Gaza-Stadt seinen Anhängern zu, doch schon länger lebt er in Katar. (Foto: Adel Hana/dpa)

Die islamistische Hamas wird künftig von Ismail Hanija geführt. Der Pragmatiker hat eine schwierige Aufgabe vor sich.

Von Peter Münch, Tel Aviv

In der Welt kennt man die Hamas als Chaos-Stifter, im Innern aber wird mit ruhiger Hand regiert. Als Beweis dafür hat die im palästinensischen Gazastreifen herrschende Islamisten-Truppe nun einen geordneten Führungswechsel abgeschlossen. "Es ist eine Ehre für mich, unserem Volk die Wahl des Bruders Abu al-Abid Ismail Hanija zu verkünden", sagte der bisherige Anführer Khaled Meschal.

Nach zwei Jahrzehnten an der Spitze des Hamas-Politbüros gibt er den Chefposten in der Organisation nun an Hanija ab, der vormals als Premierminister im Gazastreifen amtierte. Beide Männer werden dem pragmatischeren Flügel zugeordnet. Doch so ruhig dieser Personalwechsel nach einem mehrmonatigen komplizierten Wahlverfahren auch vonstatten ging - Hanija stehen schwierige Aufgaben und unruhigen Zeiten bevor.

Anders als der seit Jahrzehnten im Exil agierende Meschal hat Hanija bislang nur sehr begrenzt diplomatische Erfahrung sammeln können. Sein Revier war stets der enge Gazastreifen, wo er bis heute im Schati-Flüchtlingslager lebt, in dem er vor 54 Jahren geboren wurde. Sein Aufstieg begann als Privatsekretär des Hamas-Gründers Ahmed Scheich Jassin, der 2004 von einer israelischen Rakete zerfetzt wurde. Hanija gilt als Mann des Volkes, der bei Freitagspredigten in der Moschee den richtigen Ton trifft. Intellektuelle Brillanz wird ihm eher nicht nachgesagt.

Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist katastrophal und verschlechtert sich weiter

Nun muss er die Hamas in einem komplizierten Spannungsfeld positionieren. Im Innern muss er versuchen, verschiedene Kräfte auszugleichen. Den Chefposten in Gaza hat gerade erst der zum militärischen Flügel zählende Jahia Sinwar übernommen. Das war als Zeichen einer Radikalisierung verstanden worden.

Zugleich jedoch hatte Khaled Meschal als eine Art Vermächtnis in der vorigen Woche ein neues politisches Grundsatzpapier vorgestellt, in dem ein moderaterer Kurs eingeschlagen wird, mit dem die Hamas nun um internationale Anerkennung buhlt.

Unter verschärftem Druck steht die Hamas auch im Bruderkrieg mit der im Westjordanland regierenden Fatah von Präsident Mahmud Abbas. Die Führung in Ramallah hat beschlossen, finanzielle Hilfen für Gaza einzustellen - mit dem Ergebnis, dass sich die ohnehin katastrophale humanitäre Lage der zwei Millionen Bewohner noch weiter verschlechtert. Dies dürfte in der Bevölkerung den Unmut über die Hamas wachsen lassen. So ist sie umso dringender auf jede Hilfe von außen angewiesen - und stößt auch hier auf ein Dilemma. Denn die vom militärischen Arm organisierte Waffenhilfe aus Iran wird der Hamas von den sunnitischen arabischen Staaten in der Nachbarschaft und am Golf angekreidet.

Hanijas Aufgabe wird es nun sein, zwischen all diesen Kraftfeldern klug zu lavieren. Offen ist noch, ob er dazu seinen Sitz von Gaza aus nach Katar verlegt, wo auch sein Vorgänger Meschal residierte. Der Vorteil wäre, dass er von dort aus unbeschränkte Reisemöglichkeiten hätte. Bei einem Verbleib im Gazastreifen, der ringsherum abgeriegelt ist, wäre er stets darauf angewiesen, dass Ägypten die grundsätzlich geschlossene Grenze für ihn öffnet - und er hat bereits Erfahrung damit gemacht, dass dies keineswegs immer passiert. Zudem würde eine Exil-Residenz auch seine Sicherheit erhöhen, weil er dort dem unmittelbaren Zugriff Israels entzogen wäre. Andererseits jedoch läuft Hanija Gefahr, bei einem Umzug ins Ausland seine bisherige Machtbasis im Gazastreifen zu verlieren.

Offen bleibt zudem, welche Rolle Meschal künftig spielen wird. Zwar hat er bereits angekündigt, dass er von nun an nur noch als einfaches Mitglied der Schura, des höchsten Hamas-Gremiums, fungieren will. Aber es ist kaum anzunehmen, dass sich ein machtbewusster Mann wie er mit 60 Jahren aufs Altenteil zurückzieht. Möglich also, dass er als Graue Eminenz im Hintergrund weiter in der Hamas die Fäden ziehen will. Gerüchteweise jedoch strebt Meschal noch höher hinaus: Er könnte sich bereithalten, um beizeiten den greisen und politisch geschwächten Präsidenten Abbas zu beerben.

© SZ vom 08.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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