Halle-Attentäter:Einsam, misstrauisch, schnell zu kränken

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Der angeklagte Stephan B. bekommt im Landgericht die Handfesseln abgenommen. (Foto: dpa)

Psychologen beschreiben den Attentäter von Halle als Mann mit schweren sozialen Defiziten. Voll schuldfähig sei er trotzdem.

Von Antonie Rietzschel, Magdeburg

Stephan B. ist unzufrieden. Immer wieder schüttelt der Attentäter den Kopf, mit einem schwarzen Stift macht er sich Notizen, schaut wieder auf, Richtung Zeugenstand. Dort sitzt der Psychiater Norbert Leygraf und tut etwas, was Stephan B. offenbar missfällt. Er redet über ihn, über seinen psychischen Zustand, es fallen Worte wie "Defizite", "Autismus" und "Persönlichkeitsstörung".

Am 18. Verhandlungstag im Halle-Prozess geht es darum, ob Stephan B., der im vergangenen Jahr einen Anschlag auf eine Synagoge beging und zwei Menschen tötete, voll schuldfähig ist.

B. selbst war es während des Verfahrens vor dem Landgericht Magdeburg wichtig klarzustellen, dass er nicht unter einer psychischen Erkrankung leidet. Er ist geradezu stolz auf die minutiöse Planung seiner Tat, die selbstgebauten Waffen, den geschmacklosen Witz, den er in seinem Manifest versteckte. Und tatsächlich erklärt ihn der Psychiater Norbert Leygraf für voll schuldfähig. Es gebe keinen Beweis, dass Stephan B. unter einer psychiatrischen Krankheit gelitten habe, so Leygraf. "Er ist von der Richtigkeit seiner Verschwörungs- und Verfolgungsideologien überzeugt. Aber deren Unsinnigkeit reicht nicht aus, diese als krankhaften Wahn zu sehen."

Leygraf attestiert B. jedoch eine komplexe Persönlichkeitsstörung. Er weise autistische Züge und soziale Defizite auf. In seinem Gutachten entwirft er das Bild eines einsamen, misstrauischen, schnell zu kränkenden Mannes, der sehr unter dem Fehlen einer Beziehung litt. B. hatte keine Partnerin, Freunde, keine Kollegen, er lebte nach einer schweren Operation wieder bei seiner Mutter. "Wie ein Kind", so beschreibt es Leygraf.

Am liebsten spricht er über seine Tat

B. selbst gab während der drei Sitzungen mit dem Psychiater nur wenig Persönliches preis. Auf entsprechende Fragen antwortete er zurückhaltend oder wurde wütend. Dass sich Stephan B. im Alter von 18 Jahren mit Blüten der Engelstrompete vergiftete und zwei Tage im Krankenhaus lag, erfuhr Leygraf aus Krankenakten. Dem von ihm geäußerten Verdacht, es habe sich um einen Suizidversuch gehandelt, widersprach Stephan B. auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin Ursula Mertens.

Am liebsten redete Stephan B. mit Norbert Leygraf über seine Tat und seine politischen Ansichten. In solchen Momenten sei er kaum zu bremsen gewesen, erzählt der Psychiater. Über seine Opfer habe er gesprochen, als handle es sich um Kollateralschäden.

Emotionale Regungen habe er nur gezeigt, wenn er, der Psychiater, ihm diese Kälte spiegelte und seine antisemitischen Positionen hinterfragte. B. habe dann die Lippen aufeinandergepresst, geschwitzt, sei aufgestanden und habe zu einer wütenden Predigt angesetzt. Wenn der Psychiater ihn in solchen Momenten beruhigen wollte, musste er ihn auf technische Details ansprechen. Etwa warum es einfacher ist, eine vollautomatische Waffe selbst zu bauen, als eine halbautomatische.

Ganz ähnlich hatte die Psychologin Lisa John ihre Begegnung mit Stephan B. beschrieben. Johns Aufgabe war es, dessen Intelligenz und Persönlichkeit mithilfe verschiedener Fragebögen zu analysieren. Bei der Beantwortung der Fragen sei B. immer darauf bedacht gewesen, Charakterschwächen zu verheimlichen, berichtet John im Sitzungssaal des Landgerichts Magdeburg. Selbst harmlose Fragen, ob er schon mal gelogen oder verbotene Gedanken gehabt habe, beantwortete er mit Nein.

Immer wieder lacht er laut, ohne ersichtlichen Grund

Immer wieder versuchte er, das Gespräch mit der Psychologin auf den 9. Oktober 2019 zu lenken, suchte bei der Bearbeitung des Fragebogens Anknüpfungspunkte, schrieb einige sogar entsprechend um. Bei der Aussage "Mich hat ein Mensch einmal so sehr zur Weißglut gebracht, dass ich ihn hätte umbringen können", ersetzte er "Mensch" durch "Jude".

John beschreibt auch, wie B. während der Beantwortung der Fragen immer wieder laut auflachte, ohne ersichtlichen Grund. Die Psychologin bezeichnet es als "unangepasst und überzogen".

Es ist dieses Lachen, das auch Norbert Leygraf in den Gesprächen mit Stephan B. immer wieder auffällt und das er in seine Einschätzung, B. leide unter einer komplexen Persönlichkeitsstörung, einfließen lässt. Die mache ihn zwar anfälliger für Verschwörungsideologien, so Leygraf, für die Tat trage er aber die volle Verantwortung. Und er könne nicht erkennen, dass sich an der Einstellung von Stephan B. etwas verändert hätte. "Sobald sich die Möglichkeit bietet, würde er wieder vergleichbare Taten begehen."

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