In Libyen bewahrheiten sich alle Prophezeiungen, die Skeptiker zu Beginn der Anti-Gaddafi-Revolte geäußert hatten: Islamisten sind an die Macht gekommen, die neuen Herrscher in Tripolis achten die Menschenrechte ebenso wenig wie der frühere Diktator, die Waffe zählt mehr als das Wort.
Jetzt kommen wieder schlechte Nachrichten aus dem nordafrikanischen Land: Die Cyrenaika, Libyens Ostteil, betreibt die Unabhängigkeit. Der Staat könnte also bald zerfallen.
Dafür gibt es historische Gründe. Libyen ist ein junger Nationalstaat. Der Zusammenhalt der drei Landesteile war immer schwach. Zusammengefügt aus der Konkursmasse des Osmanischen Reichs, aus Stammesgebieten und Mussolinis Faschisten-Kolonie hatten erst ein König und später ein größenwahnsinniger Diktator das Land zusammengehalten; Personenkult und Gewalt waren unter Gaddafi stärkere Bindemittel als das Zusammengehörigkeitsgefühl der Libyer. Dass nach dem Sturz des alten Regimes und im postrevolutionären Machtvakuum die alten Bruchlinien sofort wieder zu erkennen sind, kann kaum erstaunen.
Ebenso klar war, dass der Wunsch nach Sezession zuerst aus dem Osten kommen würde. Die ölreiche Cyrenaika war immer mehr von Stammesstrukturen geprägt und wurde vom Gaddafi-Regime vernachlässigt. Deswegen hat der Aufstand auch im Osten begonnen, in der Metropole Bengasi.
Der Wunsch nach mehr Eigenständigkeit muss aber nicht gleich zum Zerfall des Landes führen. Es könnte auch der erste Schritt hin zu einem modernen Föderalismus sein. Bei dem würden alle drei Landesteile Libyens ihre Identität wahren können, ohne gemeinsame Hauptstadt und Flagge aufzugeben.