Gut so, schlecht so (16):Die versteckte Kanzlerin

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Mit einem "Ersatzparlament" bei Maybrit Illner greift das ZDF die Talkbastion im Ersten an. Doch Westerwelle und Gabriel ermöglichen Anne Will den besseren Auftritt.

Hans-Jürgen Jakobs

Die Ankündigung nach diesem Sonntag der Niederlage für die Union war verräterisch. "Jetzt erst kommt die Kanzlerin ins Spiel", erklärte Günther Oettinger, Christdemokrat, baden-württembergischer Ministerpräsident und geübter Talkshowgast. Da konnte sich Moderatorin Anne Will die Gegenfrage beim besten Willen nicht ersparen: "Wo haben Sie die denn bisher versteckt?"

"Weniger ist mehr": Anne Will talkte am Wahlabend besser als die Konkurrenz. (Foto: Foto: dpa)

Das war, ein paar Stunden nach dem Ende von drei Landtagswahlen und vier Wochen vor der Bundestagswahl, ein früher Höhepunkt in einer Sendung, deren Gastgeberin nicht nominiert wurde für die große Farce des TV-Duells am 13. September. Das sollte diesmal bei "Anne Will" noch eine Rolle spielen.

Besonders aufgeladen aber war die Ausgabe vom Sonntag, da erstmals eine direkte Konkurrenz im ZDF auftrat - die normalerweise für den Donnerstag gebuchte Maybrit Illner mit einem "Spezial". Während Anne Will auf den bewährten Grundsatz "Weniger ist mehr" setzte und nur drei Politiker einlud, hatte sich Illner das Studio mit Gästen aus allen Parteien voll gemacht, eine Variante jenes "Ersatzparlaments", das man früher stets bei Will-Vorgängerin Sabine Christiansen vermutete.

Bei Illner also war die FDP-Lichtgestalt Hans-Dietrich Genscher die große ausgleichende Kraft, der lächelnd einwarf, man wolle ja bei Koalitionsgesprächen nicht stören, als sich Thomas Oppermann von der SPD und Katja Kipping von der Linken um so etwas wie differenzierende Annäherung bemühten. Und da war dann noch der Grünen-Politiker Jürgen Trittin, der verkündete, man werde Bodo Ramelow in Thüringen wegen alter Stasi-Geschichten in dessen Partei nicht einfach so zum Ministerpräsidenten wählen.

Mittendrin thronte Illner und bemühte sich, die Rede-Minuten gerecht zu verteilen, was angesichts eines Profis wie Innenminister Wolfgang Schäuble schwierig ist. Der CDU-Politiker erklärte, am Wunsch seiner Partei nach einem Koalitionspartner FDP könne es in seiner Partei "keinen Zweifel" geben, auch wenn FDP und CSU sich schon mal kabbelten.

So also durfte sich jede Partei bei "Maybrit Illner Spezial" erklären, und Friedrich Nowottny, der einstige politische Journalist und Intendant des Systems ARD, streute Vermutungen ein, wie zum Beispiel, dass SPD und Linke im Bund sehr wohl nach der Wahl zusammenkommen könnten.

Der ganz große Angriff des ZDF auf die Talkbastion im Ersten war diese späte Sabine-Christiansen-Kopie nicht. Dabei gab es im ZDF seit Jahren immer wieder einmal Pläne, am Sonntagabend eine politische Gesprächsrunde einzuführen.

Der Sendeplatz gilt als ideal, weil sich die Deutschen zu dieser Zeit auf die kommende Woche einstimmen wollen. Sogar mit Günther Jauch hat die ZDF-Spitze in der Vergangenheit geliebäugelt, es wurde daraus aber nichts.

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Am Abend des CDU-Desasters im Saarland und in Thüringen, das aus diesem Grund allein noch kein Triumph der gebeutelten SPD war - an diesem Sonntag also hatte Anne Will den besseren Auftritt. Das lag sicherlich daran, dass sich Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und FDP-Chef Guido Westerwelle mit Wortspitzen derart eindeckten, dass der Zuschauer an die Möglichkeit einer "Ampel-Koalition" danach nicht mehr glauben wollte.

Maybrit Illner versuchte im ZDF, Redeminuten gerecht zu verteilen. (Foto: Foto: dpa)

Die FDP sei in der Opposition schlechter geworden, Sozialliberales gebe es überhaupt nicht mehr, wetterte Gabriel beispielsweise und irgendwann kündigte Westerwelle an, er könne auch mit einem schwarzen Filzstift auf den Boden des TV-Studios schreiben, dass er keine "Ampel" wolle und sie auch nicht kommen werde.

Der CDU-Ministerpräsident Oettinger blieb angesichts dieser Plänkeleien betont passiv und konnte der SPD nur ein "Glaubwürdigkeitsproblem" antexten, wenn sie auf allen Ebenen mit den Linken anbandele. Deren Parteichef Oskar Lafontaine wiederum hatte bei "Anne Will", aus Saarbrücken live dazugeschaltet, einen wahlspotreifen Auftritt, als er die Positionen seiner Partei in punkto Afghanistan-Krieg, Rente, Arbeitslosigkeit und Krankenversicherung im Stakkato aufzählte und im Hintergrund die "Ich-wähle-Oskar"-Schilder groß zu sehen waren.

Schließlich zeigte FDP-Chef Westerwelle noch gewisse kabarettistische Fähigkeiten beim Thema TV-Duell, das Anne Will vermutlich besonders nahegeht. Das geplante Aufeinandertreffen von Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier in zwei Wochen sei doch in Wahrheit nur ein "Selbstgespräch", befand der Liberale, die wahre Opposition mit FDP, Linken und Grüne müsste auch dabei sei.

Und dann imitierte Westerwelle auch noch einen fiktiven Gesprächsverlauf, bei dem die Kanzlerin sagt: "Es war ja wirklich in diesen vier Jahren nicht alles schlecht, Frank-Walter" und als Antwort bekommt: "Da hast du auch wieder recht, Angela!" In diesem Moment war der Wahlkampf 2009 der Wahrheit sehr nahe und überhaupt nicht mehr so langweilig, wie es bisher jeder geglaubt hatte.

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