Guatemala:Zimmer frei für den Diktator

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Die Schreckensherrschaft von Efraín Rios Montt beschäftigt Südamerika noch immer, wie dieses Poster vor der Botschaft Guatemalas in Buenos Aires zeigt. (Foto: Marcos Brindicci/Reuters)

In Guatemala versucht sich der einstige Machthaber Rios Montt einer unabhängigen psychiatrischen Untersuchung zu entziehen. Es geht um einen Völkermord-Prozess, der das ganze Land aufwühlt.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

In der psychiatrischen Klinik Federico Mora von Guatemala-Stadt war schon alles hergerichtet für den be-rühmten Patienten. Ein Saal mit zehn Betten wurde am Wochenende freigeräumt, um den 89-Jährigen Efraín Ríos Montt zu beherbergen. Dass ein ehemaliger Militärdiktator, gegen den ein Völkermordprozess läuft, ein Einzelzimmer bekommt, das ist wohl schon aus Sicherheitsgründen angebracht. Die Stimmung ist höchst angespannt in Guatemala. Francisco Palomo, einer der Anwälte Ríos Montts, wurde unlängst erschossen. Das Hochsicherheits-Krankenzimmer aber steht weiterhin leer. Der Patient ist nicht erschienen.

Laut Gerichtsbeschluss vom vergangenen Donnerstag sollte Ríos Montt in die Psychiatrie eingewiesen werden, um sich dort von unabhängigen Ärzten untersuchen zu lassen. Damit sollte ein für allemal festgestellt werden: Ist er dement oder nicht? Ist er verhandlungsunfähig oder tut er nur so? Laut Berufungsbeschluss vom Samstag darf er einstweilen zu Hause bleiben, weil ihm nicht einmal diese Untersuchung zugemutet werden kann.

Während seiner Herrschaft wurden die Maya-Indigenen systematisch verfolgt

Die jüngsten Volten spiegeln das ganze Dilemma des Justizsystems in Guatemala wider. Einerseits gibt es dort inzwischen Staatsanwälte und Richter, die ihre Arbeit sehr ernst nehmen und Ríos Montt - genannt "Der Schlächter der Indios" - so schnell wie möglich zurück auf die Anklagebank bringen wollen. Andererseits hat die Verteidigung noch jedes Mal einen Berufungsrichter gefunden, der den greisen Mann in Schutz nimmt. Die Einweisung in die Psychiatrie wurde von einer Kammer gestoppt, deren Vorsitzender offenbar enge Verbindungen zur Republikanischen Front hat, jener Partei, die einst von Efraín Ríos Montt gegründet wurde.

So geht das jetzt schon seit mehr als zwei Jahren. Seit jenem Tag im Mai 2013, als in Guatemala etwas bis dahin Undenkbares geschah: Ríos Montt wurde wegen Völkermordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu einer Haftstrafe von 80 Jahren verurteilt. Richterin Yasmin Barrios sah es als erwiesen an, dass während der kurzen Herrschaft Ríos Montts zwischen 1982 und 1983 die Maya-Indigenen der Ixil-Ethnie vom Militär systematisch verfolgt und ausgerottet wurden, weil sie angeblich Guerilla-Kämpfer unterstützt hatten. Die Urteilsbegründung ist ein Buch des Schreckens. Demnach wurden drei Viertel aller Ixil-Dörfer verbrannt, Frauen vor den Augen ihrer Kinder und Ehemänner vergewaltigt und verstümmelt. 1771 Morde sind dokumentiert. Die Beweislast ist erdrückend.

Das Urteil gegen Barrios wurde als wegweisend gefeiert. Erstmals war ein lateinamerikanischer Diktator in seinem eigenen Land wegen Völkermordes verurteilt worden. Der Jubel kam aber zu früh. Schon zehn Tage später wurde das Urteil vom Verfassungsgericht aufgehoben, wegen angeblicher Verfahrensfehler. "In Wahrheit ging es um politischen Druck", sagt der deutsche Jurist Michael Mörth, der seit zwanzig Jahren in Guatemala lebt und im Prozess die Nebenklage vertritt. Staatspräsident Otto Pérez Molina hat aus seiner Sicht wenig Interesse an einer ernsthaften Vergangenheitsbewältigung. Er war in den frühen Achtzigerjahren als Militärgeneral just in jener Region stationiert, wo die Ixil wohnten. Gegen Richterin Barrios wurde 2014 ein Berufsverbot verhängt.

Im Januar 2015 startete der Völkermordprozess von vorn. Allerdings nur für ein paar Stunden. Dann wurde er auf unbestimmte Zeit unterbrochen, denn auch gegen die neue Richterin gingen die Anwälte Ríos Montts erfolgreich vor. Sie sei befangen, weil sie ihre Doktorarbeit über den Völkermord in Guatemala geschrieben habe. Nun also der dritte Anlauf. Diesmal setzt die Verteidigung, unterstützt von Zory Ríos Montt, Tochter des Angeklagten und kommende Präsidentschaftskandidatin, alles auf die Verhandlungsunfähigkeit des alten Tyrannen. "Zunächst hieß es, er sei körperlich nicht in der Lage, um vor Gericht zu erscheinen. Jetzt ist er angeblich dement", sagt Mörth: "Inzwischen ist klar, dass alles eine große Lüge ist."

Ríos Montt kann ein Attest des nationalen forensischen Instituts vorweisen, wonach er tatsächlich an Demenz leidet. Dieses Gutachten wurde vom Gericht allerdings abgelehnt. Mit dem Hinweis, dass der Angeklagte zuletzt mit einem Medikament behandelt worden sei, das die Sterblichkeit bei Demenz-Kranken erhöht. "Man kann davon ausgehen, dass die Tochter und der Hausarzt genau wissen, dass er nicht dement ist. Es sei denn, sie haben vor, ihn umzubringen", sagt Mörth.

Er und seine Anwaltskollegen wollen nun im Eilverfahren durchsetzen, dass Ríos Montt doch noch untersucht wird. Der nächste Tag der Hauptverhandlung ist für Dienstag nächster Woche anberaumt. Bis dahin wird sich zeigen, wie gut die alten Seilschaften noch funktionieren.

© SZ vom 28.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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