Grüne:Zeit für andere Gesichter

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Nach Cem Özdemir erklärt auch Simone Peter den Verzicht auf den Parteivorsitz. Die früheren Widersacher werden nicht mehr kandidieren, die Grünen können neue Chefs küren. Die Auswahl ist groß.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Stärkung vor dem Abschied: Simone Peter, Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, versorgt sich vor der Vorstandsklausur ihrer Partei in einer ehemaligen Zahnradfabrik im Berliner Wedding mit Frühstück. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Es gab Zeiten, da fetzten sich die beiden, galten als heillos zerstrittene Parteivorsitzende und wirkten voneinander so genervt, dass Wiederannäherung undenkbar erschien. Eine Ewigkeit scheint das her zu sein. "Groll ist nicht vorhanden", sagt Simone Peter jetzt, es klingt sogar echt. Er gehe "ohne Groll", versichert auch Cem Özdemir. Montag in einem malerisch maroden Hinterhaus im Berliner Wedding, in einer ehemaligen Fabrik haben Reste der Berliner Bohème die Zeiten überdauert. Zwischen verrußten Mauern, altertümlichen Betriebstelefonen und Schwarz-Weiß-Bildern von einst hat sich der Bundesvorstand der Grünen zur Klausur getroffen. Die Grünen tun so etwas regelmäßig, diesmal geht es um den Parteitag Ende Januar und die eigene Neuaufstellung.

Blick nach vorn in schwieriger Zeit - so ähnlich kann man sich die Überschrift dieses Zusammentreffens vorstellen. Doch als die beiden Parteichefs mittags vor die Presse treten, um zu berichten, richtet der Blick sich statt nach vorn wieder und wieder zurück, und die Veranstaltung gerät zu einer kleinen Abschiedsgala.

"Das ist nicht das Ende aller Tage", sagt Cem Özdemir. Simone Peter lobt das "breite Personalangebot".

Cem Özdemir steht da, er hat Schminke im Gesicht, wie neben ihm Simone Peter. Die beiden Parteivorsitzenden, die in ihrer Amtszeit oft auf feindlichen Planeten zu leben schienen, stehen einträchtig beieinander, loben sich gegenseitig, sprechen von Respekt. Özdemir und Peter machen Schluss mit dem Parteivorsitz, sie werden beim Parteitag nicht mehr kandidieren. Für Cem Özdemir, der fast zehn Jahre lang an der Parteispitze stand, ist der Abschied aber ein noch größerer.

"Es ist schon so, dass ich mir das durchaus auch vorstellen kann, Fraktionsvorsitzender zu sein", sagt Özdemir. "Aber man braucht auch Mehrheiten." Beim Wähler habe er bekanntlich solche Mehrheiten errungen, und in der Gesellschaft, so schiebt Özdemir nach, wohl auch. Die Leute mögen mich, wollen mich - so kann man das verstehen. Nur in der Bundestagsfraktion habe er eben nicht die nötige Mehrheit, um den Vorsitz zu übernehmen. "Deshalb füge ich mich dem ohne Groll." Cem Özdemir, Spitzenkandidat und Frontmann der Grünen, sah sich kürzlich noch auf dem Weg in ein Ministeramt. Mit dem Aus für Jamaika hat sein politischer Aufstieg ein jähes Ende genommen, zumindest vorerst. Bei der Neuaufstellung der Grünen an der Partei- und Fraktionsspitze gibt es zu viele Bewerber aus dem Realolager, deshalb ist für Realo Özdemir - kurz gefasst - kein Spitzenposten übrig. Am Montag bemüht sich der 52-Jährige um Gelassenheit, auch wenn es in ihm zu arbeiten scheint. "Das ist nicht das Ende aller Tage", sagte er - und betont immer wieder, dass er weiter "den Auftrag" der Wähler und "sehr viel Unterstützung" habe, um im Bundestag "das Beste daraus zu machen". Özdemir hat auch zu verstehen gegeben, dass er sich im Fall einer Neuwahl weiter als grünen Spitzenkandidaten sieht. Das könnte ihm im Ernstfall Ärger mit seinem möglichen Nachfolger an der Parteispitze bescheren, dem schleswig-holsteinischen Umweltminister Robert Habeck. So weit aber sind die Dinge am Montag nicht, und an der Reihe mit Verabschieden ist Simone Peter. 2013 kam die parteilinke Umweltpolitikerin aus dem Saarland an die Bundesspitze, viele sahen in ihr neben dem eher bürgerlichen Özdemir eine Hüterin grüner Herzensanliegen. Spätestens nach der Silvesternacht 2017 in Köln aber verlor Peter bei den eigenen Leuten an Boden. "Manches war nicht leicht, und ich habe es euch nicht immer leicht gemacht", schrieb sie jetzt zum Abschied an Parteifreunde. Eine weitere Kandidatur als Grünen-Chefin, die sie schon angekündigt hatte, galt als aussichtslos. Am Montagmorgen dann tat Peter, was kaum jemanden überraschte: Sie zog ihre Kandidatur zurück. Denn die niedersächsische Grüne Anja Piel ist nun als weitere Bewerberin für den Parteivorsitz auf den Plan getreten, sie gehört wie Peter zum linken Flügel. "Ich habe deutlich gemacht, dass ich es gut finde und begrüße, dass es ein breites Personalangebot gibt", sagt Peter am Montag. In Anja Piel und den Realos Robert Habeck und Annalena Baerbock gebe es nun Bewerber aus beiden Parteiflügeln. Simone Peter, so die Botschaft, wird für den Flügelproporz nicht mehr gebraucht. "Wenn es zu persönlicher Erneuerung kommt, dann heißt das nicht, dass das mit Brüchen verbunden ist", sagt sie noch. Als es vorbei ist in der alten Fabrik, packen Cem Özdemir und Simone Peter ihre Sachen. Er hat es eilig, will jetzt los. Sie sieht nicht wirklich traurig aus.

© SZ vom 09.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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