Grüne:Verzicht mit Charme

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Die Grünen müssen ihr Trauma als Verbotspartei überwinden und sich für ein Umdenken einsetzen. Ohne Besserwisserei.

Von Constanze von Bullion

Gegen die Grünen scheint kein Kraut gewachsen zu sein. Seit Monaten kämpft sich die politische Konkurrenz an der Partei der Baerbocks und Habecks ab. Trotzdem ist sie so beliebt wie nie. Und jetzt? Haut Parteichef Robert Habeck ein Interview raus, in dem er die Enteignung von Grundstücksspekulanten denkbar nennt. Fraktionschef Anton Hofreiter erinnert daran, dass die Grünen ab 2030 keine neuen Verbrennungsmotoren mehr wollen. Die Leute sollen weniger fliegen, weniger Fleisch essen, den Plastikstrohhalm meiden. "Verbotspartei!", schallt es den Grünen aus allen Kanälen entgegen. Der Begriff ist ein Trauma für sie. Zeit, es zu überwinden.

Der Vorwurf, Miesepeter der Nation zu sein oder eine selbsternannte Sittenpolizei, gehört zu den schärfsten Waffen gegen die Grünen. Das hat die Partei 1998 zu spüren bekommen, als sie forderte, der Liter Benzin solle fünf Mark kosten. 2010 dann, als die Grünen-Politikerin Renate Künast Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden wollte, kam es zu einem ähnlichen Szenario. Mit der Schlagzeile, die Grünen wollten Tempo 30 auf Berliner Straßen einführen, begann ein Sturzflug in den Umfragen. Es folgte: der grüne Veggieday, der "mehr Menschen zum Nachdenken über 'eingefleischte' Konsumgewohnheiten bringen" sollte.

Wer andere zum Nachdenken bringen will, mag inhaltlich tausendmal im Recht sein. Die Sache ist dennoch zum Scheitern verurteilt, wenn sie im Duktus des Besserwissers daherkommt. Überlegenheit zu behaupten ist besonders gefährlich für eine Partei, deren Wähler als überdurchschnittlich gebildet gelten, als selbstbewusst und in vielerlei Hinsicht privilegiert. Von einer solchen Partei belehrt zu werden, stößt bei weniger Privilegierten fast zwingend auf Widerstand. Zumal, wenn die Vorschläge mit Moralinsäure gewürzt sind, wie das bei früheren Grünen gern mal der Fall war.

Es kommt also auf den Ton an, wenn die Habecks und Baerbocks jetzt vorangehen wollen beim Klimaschutz, bei der Zukunft der Mobilität oder dem Existenzthema Wohnen. Wer hier Ernst machen will, darf ruhig mal am Allerheiligsten rütteln: an Besitzverhältnissen bei Grund und Boden etwa. Und wer nicht zu den vielen gehören mag, die jetzt Klimaschutz light verkaufen wie ein modisches Accessoire, muss den Leuten sagen, dass es ohne Verzicht nicht gehen wird: Verzicht auf Flüge oder traditionelle Energiequellen, auf die Autofahrt ins Büro oder den täglichen Fleischberg auf dem Teller.

Nein, Deutschland braucht kein Gesetz, das Vegetarismus verordnet, Flugzeuge zu No-go-Areas erklärt oder die Leute dazu verdonnert, auf sämtliche Annehmlichkeiten der Wohlstandsgesellschaft zu verzichten. Aber ja, es wird Gesetze geben müssen, die das Verharren in Verhaltensmustern erschweren, mit denen die Industriegesellschaft die Lebensgrundlagen des Planeten gefährdet.

Die Kunst, diesen Wandel zu beschleunigen, besteht nicht in Alarmismus und Rechthaberei, nach dem Motto: Wir haben es immer schon gewusst. Wenn die Grünen eine Wende in den Köpfen durchsetzen wollen, müssen sie auch vielfliegenden Besitzstandswahrern und sozial Benachteiligten den Abschied von liebgewonnenen Gewohnheiten ermöglichen. Das geht nur mit Kommunikation auf Augenhöhe, mit Gelassenheit, einem dicken Fell und ordentlich Selbstironie. Auch den Grünen ist Dazulernen erlaubt.

© SZ vom 09.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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