Grüne:Kompass und Fundament

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In 40 Stuhlkreisen ringen die Parteimitglieder beim Grundsatzkonvent um ihr Zukunftsprofil.

Von Jacqueline Lang, Berlin

40 Debattierkreise boten sich den Grünen in Berlin. (Foto: Carsten Koall/Getty)

Stuhlkreise, eine Tafel zum Anpinnen von Ideen, Motivationssprüche an den Wänden - es hat ein bisschen was von Volkshochschule, wie die Grünen den zweiten Tag ihres Grundsatzkonvents in Berlin bestreiten. Doch das "Open-Space"-Konzept, das sich die Partei für den Samstag verordnet hat, kommt bei der Basis an. Als die Besucher aufgefordert werden, Themen für die Stuhlkreise vorzuschlagen, springen fast alle von den Sitzen und schreiben ihre Ideen auf Zettel. Schließlich geht es um das neue Grundsatzprogramm der Partei, das im Herbst 2020 fertig sein soll. Ums Diskutieren. Und auch wenn sich die Grünen seit ihrer Gründung als Widerstandspartei vor 40 Jahren sehr verändert haben, die Debattierlust ist ihnen nach wie vor in die DNA eingeschrieben.

"Nur ein geschlossenes Weltbild kennt keine Widersprüche. Eine offene Gesellschaft muss streiten", hatte Parteichef Robert Habeck gesagt, als er den Konvent in der Veranstaltungshalle Areal in Berlin-Treptow eröffnete. Und: "Wir geben zu, dass unsere Werte auch teilweise im Widerspruch stehen." Die Einladung zum Reden wirkt, zwar ist nicht jeder der 800 Teilnehmer vom Freitag am nächsten Morgen zum Konvent wiedergekommen, doch für 40 Stuhlkreise mit Parteimitgliedern und sympathisierenden Gästen reicht es allemal.

Die Themenvielfalt zeigt, wie sehr sich die Grünen bereits von ihrer Nische entfernt und "in die Breite der Gesellschaft" bewegt haben, wie es Parteichefin Annalena Baerbock zuvor formuliert hatte. In den Workshops geht es ebenso um die Digitalisierung der Schulen oder Armut in Osteuropa wie um den Klimawandel und die Energiewende. Maximilian Ruta, 25, liegt etwas anderes am Herzen. Er schloss sich 2016 in Nordrhein-Westfalen den Grünen an, "weil ich mit dem Zustand der Welt unzufrieden war". Eigentlich hatte er mit der Piratenpartei geliebäugelt, weil er sich sehr um die Freiheit des Internets sorgt. "Aber die Piraten waren de facto schon tot." Nun trägt er seine Sorge eben zu den Grünen.

Sara Witt, 45, ist noch nicht ganz sicher, ob sie den Grünen beitritt. Am Ende des Wochenendes will sie sich entscheiden. Aber warum überhaupt eintreten, wo doch der Trend zum themenbezogenen Engagement geht? "Ich glaube, in einer immer komplexer werdenden Welt reicht es nicht aus, sich nur auf ein Thema zu konzentrieren", sagt Witt. Eines ist ihr schon klar: wenn Parteipolitik, dann bei den Grünen.

Die Parteichefs dürften solche Sätze freuen, zeugen sie doch davon, dass ihre Botschaft ankommt. "Wir wollen eine Partei für alle Menschen im Land sein", hatte Baerbock gesagt. Die Flexibilität scheint den Grünen zu nutzen. In den Umfragen liegen sie konstant über 18 Prozent, meist als zweitstärkste Kraft vor der SPD. Der linke Bundestagsabgeordnete Jan Korte rügte bereits "einen strammen Kurs in die inhaltliche Beliebigkeit". Genau davor soll das neue Grundsatzprogramm die Grünen aber bewahren. Am Ende, so Habeck, soll es "Kompass" und "Fundament" sein.

© SZ vom 01.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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