Großbritannien: Vertrag von Lissabon:Camerons Kehrtwende

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Es ist ein scharfer politischer Richtungswechsel: Tory-Chef Cameron will nun doch auf ein britisches Referendum zum EU-Reformvertrag verzichten - Gegenwind aus den eigenen Reihen ist ihm gewiss.

Wolfgang Koydl

Die Kehrtwende, auf Englisch aufgrund ihrer Form "U-Turn" genannt, gehört zu den unpopulärsten, wenngleich auch ziemlich häufig durchgeführten Manövern im Leben eines Berufspolitikers. Zumal in jenen Fällen, in denen sie im grellen Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit vollzogen wird, mangelt es ihr an jeglicher Eleganz. Stattdessen löst sie Peinlichkeit aus.

Tory-Parteichef David Cameron ist dieser Tage bei einer besonders scharfen politischen Spitzkehre zu beobachten. (Foto: Foto: AP)

Zur Zeit hat die britische Öffentlichkeit die Gelegenheit, den konservativen Parteichef David Cameron bei einer besonders scharfen politischen Spitzkehre zu beobachten. Nun, da die letzten tschechischen Hürden für eine Ratifizierung des europäischen Reformvertrags von Lissabon gefallen sind, müssen sich auch Britanniens euroskeptische Torys in das Unvermeidliche fügen. An Lissabon ist nicht mehr zu rütteln.

Rostige Garantie

Konkret bedeutet dies, dass es in Großbritannien selbst dann kein Referendum über den Vertrag geben wird, wenn die Konservativen - wie allgemein erwartet und vorhergesagt - die Unterhauswahlen im kommenden Frühjahr gewinnen werden. Noch vor zwei Jahren hatte Cameron eine "gusseiserne Garantie" gegeben, dass eine konservative Regierung "zu jedem EU-Vertrag eine Volksabstimmung" durchführen werde.

Doch mit jedem EU-Staat, der den Vertrag ratifizierte, war diese Garantie immer rostiger geworden. Zuletzt hatte Cameron daher nur noch ominös, aber wenig erhellend davon gesprochen, dass die Torys "es nicht auf sich beruhen lassen" würden, wenn Lissabon bei ihrem Amtsantritt von allen europäischen Mitgliedsstaaten abgesegnet worden sei.

Ausgerechnet vor einer Versammlung britischer Pathologen musste Cameron nun kleinlaut einräumen, dass sich "die Zeiten ändern" und dass der Vertrag wohl schon bald geltendes europäisches Recht werde. Wolkig fügte er hinzu, dass die Partei dennoch weiterhin "tun wird, was sie kann, um alle unsere Versprechen einzulösen". Konkrete Angaben blieb er schuldig.

Die will der Tory-Chef noch in dieser Woche nachliefern, wenn er - wie allgemein erwartet - die neue Europapolitik seiner Partei vorstellen wird. Von Volksabstimmungen wird darin nicht mehr die Rede sein, aber dafür von der "Repatriierung" von Rechten aus Brüssel nach London. Vor allem in der Beschäftigungs- und Sozialpolitik, aber auch im Justizbereich hat sich Großbritannien schon immer Sonderregelungen in Europa ausbedungen. Sie sollen nun nach dem Willen der Konservativen verbindlich festgeschrieben werden.

Mit der neuen Linie freilich könnten Camerons Sorgen erst richtig beginnen. Die in der Brügge-Gruppe zusammengeschlossenen harten konservativen Euroskeptiker haben schon Widerstand angekündigt. Sie verwarfen seine neue Europapolitik in Bausch und Bogen als "unzusammenhängend, unaufrichtig und absolut unüberzeugend".

© SZ vom 04.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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