Großbritannien:Boris Johnson versteckt sich

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Ziel der Kandidaten der Konservativen: 10 Downing Street, Amtssitz des Premierministers. (Foto: Matt Dunham/AP)

Der Favorit bei den Konservativen für den Posten des künftigen britischen Premiers verweigert sich einer TV-Debatte. Fast alle seiner Konkurrenten versprechen, den Brexit umzusetzen. Egal wie.

Von Cathrin Kahlweit, London

Der schönste Moment in der Fernsehdebatte am Sonntagabend, in der sich die britischen Kandidaten um das Premierministeramt einem Volk stellten, das sie gar nicht wählen darf, war ein Werbespot der Times: Ein ganzer Zoo marschiert, schleicht, robbt und kriecht in das Unterhaus und belegt die Abgeordnetensitze, ein Krokodil macht es sich auf dem Platz des Oppositionsführers breit, ein Hündchen auf dem Sitz des Parlamentssprechers. Als alle Tiere auf den grünen Ledersitzen Platz genommen haben, spazieren ein Löwe und ein Einhorn in den Saal. Schöner kann man die politische Lage in Großbritannien derzeit nicht beschreiben: Karneval der Tiere, geführt von Machos, beseelt von Fabelwesen.

Das Einhorn als Symbol für eine Politik der Träume und uneinlösbaren Versprechen befand sich auch im Studio von Channel 4, wo fünf Kandidaten sehr zahme Publikumsfragen beantworteten. Gewählt wird der nächste Premier von den Mitgliedern der Konservativen Partei. Aber das Wahlvolk soll sich zumindest einen Eindruck verschaffen können, wer da kommt. Oder wer da droht.

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Kommentar von Cathrin Kahlweit

Vier von fünf versprachen mehr Gesundheit, mehr Wohnungen, mehr Glück, weniger Gewalt, mehr Chancen. Den Brexit als Erfolgsmodell, den sie mit Erfahrung, Verhandlungsgeschick oder aber ultimativem Druck durchsetzen würden - auch diesen Mythos beschworen alle bis auf einen Bewerber um die Nachfolge von Theresa May. May war daran gescheitert, Brüssel verweigert sich Nachverhandlungen, das Parlament ist heillos zerstritten. Nun soll es ein neuer Premier richten.

Die Antworten der Kandidaten nach dem Wie fielen erwartungsgemäß vage aus. Umweltminister Michael Gove, ein Schwätzer vor dem Herrn, behauptete erst, er habe den Brexit mit seiner erfolgreichen Leave-Kampagne quasi im Alleingang herbeigeführt. Um nun, da drei Jahre später das Land gespalten und die Verzweiflung groß ist, zu betonen: "Meine Überzeugungen werden mich zum Sieg führen."

Nur Rory Stewart bringt einen anderen Ton in die Debatte

Der Nächste ist Ex-Brexitminister Dominic Raab, der sich erst unlängst in Brüssel zum Narren gemacht hatte, weil er behauptete, die EU sei während seiner Amtszeit zu maßgeblichen Konzessionen bereit gewesen. Was die Gesprächspartner in Brüssel als pure Angeberei bezeichnen. Raab betonte, er werde das Königreich aus der EU zu führen, komme was da wolle und egal wie, also auch mit einem No Deal und im schlimmsten Falle mit der Auflösung des Parlaments. Dass das undemokratisch sei, fand er wenig relevant, dieser Schritt diene schließlich einem höheren Ziel. Auch welche Auswirkungen das auf die Wirtschaft habe, mochte er nicht sagen, seine Antwort: Großbritannien sei das großartigste Land auf der Welt.

Außenminister Jeremy Hunt verwies lieber auf seine Fähigkeiten als Geschäftsmann. Er wiederholte das schöne Wort "Entrepreneur" etwa ein halbes Dutzend Mal, und eben weil er ein Entrepreneur sei, sei er ein erfahrener Dealmaker, was ihm in Brüssel nützen könne. Innenminister Sajid Javid betonte, er habe als Immigrant und ewiger Außenseite Ausdauer bewiesen und in der Wirtschaft Karriere gemacht; er will Irland anbieten, die Kosten für die Grenzkontrollen zu übernehmen. Warum das die politischen Probleme reduzieren soll, sagte er nicht. Und so war es einzig Entwicklungshilfeminister und Überraschungskandidat Rory Stewart, der einen anderen Ton in die Debatte brachte: Der Deal von May sei gut, man müsse Kompromisse machen und pragmatisch denken, No Deal sei mit ihm nicht zu machen. Er wisse nicht alles, könne nicht alles, verspreche nicht alles, und sei bereit zu lernen. Stewart bekam den meisten Applaus. Aber Premierminister wird er deshalb wohl trotzdem nicht.

Inmitten der fünf Männer war ein leeres Podest aufgebaut, hinter dem eigentlich Umfragekönig Boris Johnson stehen sollte. Aber der hatte sich nicht dazu herabgelassen, Channel 4 die Ehre zu geben. Die Times war es auch diesmal, die dazu den schönsten Kommentar hatte: Auf der Wochenendausgabe prangte eine Karikatur, die fünf Kandidaten zeigt und eine riesige Kunst-Figur von Boris Johnson aus Sperrholz, sehr dominant im strahlendblauen Anzug mit blonder Wuschelmähne, hinter der ein winziger Johnson kauert. Die Botschaft: Fünf stellen sich, nur einer versteckt sich.

In den vergangenen Tagen und Wochen war dem Ex-Außenminister, der in der Tory-Fraktion schon jetzt etwa ein Drittel der Stimmen einsammeln konnte und fast uneinholbar in Führung liegt, immer wieder vorgeworfen worden, er verweigere sich kritischen Nachfragen zu seinen Positionen. Schon bei seinem Kampagnenstart vergangene Woche hatte Johnson nur sechs Fragen zugelassen und teils so getan, als verstehe er sie akustisch nicht. Rory Stewart, der als Außenseiter unter den letzten sechs gilt und mutmaßlich in der folgenden Abstimmungsrunde am Dienstag nicht mehr die nötige Stimmzahl bekommen wird, hatte vor der TV-Debatte gefragt, wie eigentlich jemand Premierminister werden wolle, wenn er sogar eine Diskussion mit seinen eigenen Leuten scheue.

"Der Verlierer des heutigen Abends waren - die Konservativen"

Aber vielleicht war es genau das: Insider vermuten, dass Johnson diese erste Debatte ausgelassen, aber zur zweiten am Dienstagabend in der BBC widerstrebend zugesagt hat, weil das Bewerberfeld dann schon erheblich reduziert sein wird - und er sich gegen weniger Konkurrenz bewähren muss. Am Dienstagmorgen, wenige Stunden vor dem Schlagabtausch in der BBC, findet in der Fraktion die nächste Abstimmungsrunde statt, dann müssen alle Kandidaten, die im Rennen bleiben wollen, mindestens 33 Stimmen erringen.

Außenminister Hunt nahm das Fernbleiben von Johnson zu Recht beleidigt auf. Bei Channel 4 kommentierte er dessen Abwesenheit mit der Frage, wie sich einer gegen 27 Länder in der EU durchsetzen wolle, der sich schon vor fünf Tories fürchte.

Darüber, wer dieses erste TV-Duell gewonnen hat, gab es naturgemäß unterschiedliche Ansichten. Hunt sei staatsmännisch gewesen, Javid sympathisch, Raab isoliert und radikal, Gove pathetisch, Stewart angeberisch, meint der renommierte EU-Korrespondent des Daily Telegraph. Über Johnson, der für den Telegraph schreibt, konnte er leider nichts Schlechtes sagen; aber der war ja auch nicht da gewesen. Anna Soubry, ehemalige Tory-Abgeordnete, die aus Protest gegen den Brexit-Kurs ihre Partei verlassen hatte, twitterte: "Der Verlierer des heutigen Abends waren - die Konservativen."

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