Großbritannien: Irak-Ausschuss:Kreuzverhör der Amateure

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Ein Ausschuss soll die Hintergründe und die Legalität des Irak-Einsatzes 2003 untersuchen. Klingt gut, aber leider fehlt es den Mitgliedern an juristischer Erfahrung - und mitunter an Distanz zu Tony Blair.

Matthias Kolb

Es ist ein vernichtendes Urteil und es kommt aus berufenem Munde: "Den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses fehlt es eindeutig an juristischer Expertise, um die Frage der Legalität beantworten zu können." So zitiert die britische Zeitung The Guardian einen hochrangigen Juristen, der wie viele den Untersuchungsausschuss zu den Hintergründen der britischen Beteiligung am Irakkrieg sehr skeptisch beurteilt. Das Gremium nimmt heute seine Arbeit auf.

Er schickte einst britische Soldaten in den Irakkrieg: Der Labour-Politiker und frühere Premier Tony Blair, der heute Vorträge hält - wie hier über die Wirtschaftsentwicklung in Sierra Leone. (Foto: Foto: AP)

Die Kritik, der sich in der liberalen Zeitung mehrere prominente Juristen anschlossen, entzündete sich an der Aussage des Vorsitzenden jener Kommission, Sir John Chilcot. Der pensionierte Spitzenbeamte hatte nicht nur "volle und aufschlussreiche" Aufklärung versprochen, sondern vor allem eine Frage in den Mittelpunkt gestellt - eben jene der Legalität des Irakkrieges 2003.

Dafür wäre es sicherlich hilfreich, wenn sich in der Kommission mehrere Richter und Anwälte finden würden. Allein: Neben Chilcot gehören dem Gremium unter anderem zwei Historiker an, die den Militäreinsatz damals befürworteten und manchen gar als Blair-Bewunderer gelten, sowie ein früherer Botschafter, der heute die US-Investmentfirma JP Morgan und British Petroleum berät. Beide Unternehmen haben geschäftliche Interessen im Zweistromland.

"Anwälte werden ausgebildet, Beweismittel zu gewichten. Sie werden erkennen und aussprechen, wenn ein Entscheidungsprozess nicht in den geordneten Bahnen verläuft", sagte der renommierte Jura-Professor Philippe Sands dem Guardian. Seine Schlussfolgerung: "Die Tatsache, dass sich kein einziger Jurist in dem Ausschuss befindet, ist sehr, sehr bezeichnend."

Tony Blair im Kreuzverhör

Ein hochrangiger Richter, der sich ebenfalls äußerte, bemängelte die fehlende Erfahrung der Kommissionsmitglieder, ein Kreuzverhör durchzuführen und die Zeugen womöglich auf Widersprüche aufmerksam zu machen. Geladen sind zunächst damalige Beamte des Außen- und Verteidigungsministeriums, die zur Irak-Politik vor dem Einmarsch im Jahr 2003 aussagen sollen.

Später sollen Beamte, Militärs und Experten dem parteiübergreifenden Gremium Rede und Antwort stehen. Für Anfang 2010 wird auch die Aussage des ehemaligen Premierministers Tony Blair erwartet, die live im Fernsehen und im Internet übertragen werden soll. Große Sorgen vor dem Termin wird sich der 56-Jährige wohl nicht machen müssen. "Es wird sehr schwierig für eine Kommission sein, mit jemandem wie Blair zurechtzukommen, ohne Erfahrung mit Kreuzverhören zu haben", analysiert der Topjurist.

Abschlussbericht erst nach der Wahl

Zwar werde die Rechtswissenschaftlerin Rosalyn Higgins, die auch am Internationalen Gerichtshof in Den Haag als Richterin und Präsidentin tätig war, die Kommission beraten. Allerdings hat sie kein Recht, Verhöre zu führen.

Der zitierte Richter zieht einen nachvollziehbaren Schluss: Die Besetzung der Kommission sei politisch gewollt - sowohl von der Labour-Regierung als auch von der konservativen Opposition, die in den Umfragen weit vorne liegt. "Das Letzte, was die Regierung will, ist die Legalität des Einsatzes ernsthaft zu untersuchen", ist der Richter überzeugt und ergänzt: "Auch die Opposition wünscht das nicht, weil sie ebenfalls für den Einsatz gestimmt hat. Es fehlt schlicht der politische Druck."

Dazu passt auch, dass Sir Chilcot das Ergebnis der Untersuchungen Ende 2010 vorlegen wird - also wenn die Unterhauswahlen schon vorbei sind und aller Voraussicht nach David Cameron in der Downing Street 10 das Sagen hat. Der wird den Abschlussbericht wohl abheften lassen und ähnlich reagieren wie die britische Öffentlichkeit: achselzuckend.

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