Schuldenkrise und Flüchtlinge:Geschundenes Griechenland

Lesezeit: 3 Min.

Die Grenzen der Balkanstaaten sind nahezu dicht - doch auf den griechischen Inseln kommen immer neue Flüchtlinge aus der Türkei an. (Foto: AP)
  • Lange Zeit war Griechenland für Flüchtlinge nur Transitland.
  • Doch die Balkanstaaten machen ihre Grenzen nahezu dicht - und in Griechenland bricht Chaos aus.
  • Zaghafte Erfolge bei der Bewältigung der Schuldenkrise stehen auf dem Spiel.
  • Während die Türkei als "Schlüsselland" in der Flüchtlingskrise hofiert wird, ist von Erleichterungen für Athen keine Rede.

Von Thomas Kirchner und Mike Szymanski, Athen/Brüssel

Für viele Flüchtlinge, die griechischen Boden erreichen, ist das Land nicht die Rettung. Es ist reine Zeitverschwendung. Wer morgens mit dem Gummiboot ans Ufer der Ferieninsel Lesbos gespült wird, will abends auf der Fähre nach Athen sitzen. Tickets verkaufen Reisebüros im Lager.

Im Flüchtlingslager Kara Tepe auf Lesbos hängt eine Karte. Sie zeigt, wie man aufs Festland kommt und von dort aus Richtung mazedonische Grenze und weiter nach Deutschland. 2015 kamen so etwa eine Million Flüchtlinge in Griechenland an. Sie waren bald wieder fort.

Transitland Griechenland eben. Aber das ist nun vorbei. Griechenland bekommt auf einmal zu spüren, was es heißt, Flüchtlinge tatsächlich aufzunehmen. Das bedeutet noch eine Krise im geschundenen Krisenstaat Griechenland. Eine humanitäre Katastrophe bahnt sich an.

(Foto: sz grafik)

Österreich und die Balkanländer haben sich gegen Athen verschworen, Mazedonien hat die Grenze fast komplett dichtgemacht. Am Grenzübergang in Idomeni können nur noch einige Hundert Glückliche am Tag passieren. Afghanen verweigert Mazedonien die Einreise. Auch Syrer und Iraker ohne gültige Papiere sitzen fest.

Die "Zeit des Durchwinkens" sei vorbei, heißt es lapidar bei den nördlichen Nachbarn. Tausende stecken fest. Und auf den Inseln im Süden kommen weiterhin täglich im Schnitt 3000 Flüchtlinge an.

Die Regierung hat versprochen, 50 000 Unterkunftsplätze zu errichten. So viele Flüchtlinge sollen zwar lange noch nicht im Land sein, aber schon jetzt bricht Chaos aus. Entlang der Autobahnen laufen Flüchtlinge in Trecks Richtung Norden. Sie reißen die Zäune der Notunterkünfte ein, weil sie nicht bleiben wollen. In Athen campieren Verzweifelte im Freien. In ein paar Tagen könnte das Land kollabieren.

Griechen sehen sich von der EU fallen gelassen

Vergangenes Jahr haben nur 14 368 Migranten Asyl in Griechenland beantragt. Es hat sich bis zu den Verzweifelten herumgesprochen, dass es kaum ein ungeeigneteres Ziel gibt, wenn man in dieser Krise Sicherheit sucht. Griechenland hat genug Probleme mit sich selbst. Solange wie in Syrien der Krieg tobt, kämpft Athen mit der Schuldenkrise.

Im Sommer hatte Athen mit den Kreditgebern um den Verbleib in der Eurozone gerungen. Damals halfen die Partner mit Milliarden und legten Athen wieder einmal ein hartes Sparprogramm auf. In der Flüchtlingskrise haben die Griechen den Eindruck, Europa habe sie schon fallen gelassen. Absprachen wie jene, keineswegs im Alleingang Grenzen zu schließen, werden ignoriert.

"Verträge sind einzuhalten. Wir können nicht vergessen, wie das andauernd wiederholt wurde. Aber das gilt nicht für alle", empört sich Premier Alexis Tsipras. Sein Land könne nicht zu Europas Warenhaus für Flüchtlinge werden. Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ist in Griechenland nicht mehr willkommen. Wien wirft Athen vor, die EU-Außengrenze nicht effektiv zu schützen.

Die Flüchtlingskrise sei eines der größten Risiken für die Wirtschaft, erklärt derweil die griechische Zentralbank. Sie sieht 2016 Kosten von mindestens 600 Millionen Euro auf das Land zukommen. Zaghafte Erfolge bei der Bewältigung der Schuldenkrise stehen auf dem Spiel. Gibt die Flüchtlingskrise Griechenland den Rest?

"Ich hoffe nicht", sagt die frühere griechische Außenministerin Dora Bakoyannis, die für die konservative Nea Dimokratia im Parlament sitzt. Es gebe aber eine sehr große Angst. "Zum ersten Mal stehen wir vor dem Ende der Europäischen Union, so wie wir sie kennengelernt haben."

Griechenland vor der Zerreißprobe

Wie die Türkei befindet sich das Land geografisch an einer Schnittstelle. Aber in der Strategie von Kanzlerin Angela Merkel fallen der Türkei und Griechenland unterschiedliche Rollen zu. Der EU-Beitrittskandidat Türkei wird als "Schlüsselland" zur Lösung hofiert. Zwischen Milliardenhilfe seitens der EU und besserem Grenzschutz wird eine Verbindung hergestellt. Im Fall Griechenlands ist keine Rede von Erleichterungen beim Reformprogramm, damit Athen Luft bekommt, um mit der Flüchtlingskrise fertigzuwerden.

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Manfred Weber, Chef der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, warnt: "Die anderen Euro-Staaten werden sehr klar reagieren, wenn Ministerpräsident Tsipras jetzt damit spielt, die Migrationskrise mit den Reformen in seinem Land zu verknüpfen. Der Versuch, sich um Reformen herumzudrücken, ist schon einmal im letzten Jahr gescheitert und wird wieder scheitern", sagte er der SZ .

Aber das Land steht vor einer Zerreißprobe: Griechenland soll weitere 1,8 Milliarden Euro einsparen. Das bedeutet Aufruhr. Tsipras bittet nun ausgerechnet die Frau um Hilfe, die Griechenlands Probleme jüngst aus den Augen verloren hatte: Angela Merkel.

Die EU bereitet sich aufs Schlimmste vor. Ein neues Amt für humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz ist geplant. Es soll nicht nur außerhalb Europas eingreifen, sondern in der EU selbst. Bisher koordiniert es Hilfe bei Katastrophen weltweit. Mit derselben Schnelligkeit und Effizienz will die EU nun auch auf Notlagen in Europa reagieren können. Dafür wird die EU-Kommission einen konkreten Vorschlag präsentieren - in zehn Tagen. Spätestens.

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Griechenland bekommt auf einmal zu spüren, was es heißt, Flüchtlinge tatsächlich aufzunehmen. Das bedeutet noch eine weitere Belastung für den geschundenen Krisenstaat. Während die Türkei als "Schlüsselland" in der Flüchtlingskrise hofiert wird, ist allerdings von Erleichterungen für Athen keine Rede.

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© SZ vom 27.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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