Glosse:Das Streiflicht

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Warum uns die Britin Rehana Marylebone Khawaja beweist, dass eine innere, von Herzen kommende Verbindung zu unserem Arbeitgeber immer noch möglich ist.

(SZ) Der deutsche Morgen ist nicht nur, wie die Dichter behaupten, "lerchenlüstern", "lichtgeschmückt" und erfüllt mit "freudeklingend Saitenspiel"; nein, er hat auch seine Schattenseiten. Der Wecker klingelt, der Mensch, eben noch von einer Bahnreise ohne Verspätung träumend, springt auf, prüft nach der Katzenwäsche mit der Nase, ob die Socken von gestern noch tragbar sind - und dann die Minuten des vorauseilenden Schauderns am Frühstückstisch: Schon wieder ins Büro, schon wieder in die Werkhalle, schon wieder an die Supermarktkasse. Das ist doch kein Leben, jedenfalls keines, das man ohne Life Coach oder Alkohol mit Anstand über die Bühne brächte. "Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da": Früher wäre man auf Nimmerwiedersehen zum Zigarettenholen gegangen, aber das geht jetzt auch nicht mehr. Man ist ja Nichtraucher inzwischen.

Aber jetzt mal langsam. Immer dieses Gemaule wegen der Arbeit, diese zur Schau getragene Unlust, freudig zum Dienst anzutreten, nur weil der Chef ein Tyrann und der Lohn so niedrig ist wie das Niveau der Kolleginnen und Kollegen. Als steckte in jedem ein Sozi oder - Gott bewahre! - ein Gewerkschaftler, misstrauen die Leute ihrem Arbeitgeber, der doch immer nur ihr Bestes will. Diese Miesmacher sind schuld, dass Deutschland in der Weltglückstabelle ins Bodenlose fällt, also dorthin, wo Schalke 04 und die Ampel bereits sind. Es geht aber auch anders. Wie, das lehrt ein Blick nach England, wo nicht nur die Königsfamilie ein Bild voller Zuneigung und Harmonie abgibt. Auch die 45-jährige Bahnangestellte Rehana Khawaja ist so eine Gute-Laune-Athletin, die schon beim Frühstück - Würstchen, Spiegeleier, Bohnen, Speck - jubelt: Yippie, gleich geht's zur Arbeit! Die Dame werkelt im kleinen Londoner Bahnhof Marylebone, und dieser Arbeitsplatz, sagt sie, "fühlt sich wirklich wie ein zweites Zuhause an". Andere hätten sich den anheimelnden Bahnhof auf den Arm tätowiert, Frau Khawaja aber kam auf eine charmantere Idee: Wäre doch cool, den geliebten Arbeitsplatz im Namen zu tragen. Jetzt heißt sie Rehana Marylebone Khawaja.

Wow, der neue Name klingt nicht nur wie ein Gedicht, er zeigt auch, dass eine innere, von Herzen kommende Verbindung zu seinem Arbeitgeber immer noch möglich ist. Gewiss, heutzutage ist das schwierig, weil der Mensch bis ins Rentenalter nur mehr von einer Praktikantenstelle zur nächsten wandert. Wer aber in den Genuss kommt, länger als ein paar Monate beispielsweise bei der Telekom arbeiten zu dürfen, sollte nicht zögern, seine Dankbarkeit mit einer Namensänderung zu bezeugen. Karl-Friedrich Telekom Müller klingt fast so poetisch wie Rehana Marylebone Khawaja. Übrigens könnte auch Claus Weselsky sich zu Ehren seines Arbeitgebers einen zweiten Vornamen zulegen. Wie wär's mit Anhalter Bahnhof?

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